Zinsanspruch bei Einfuhrabgaben – aktueller Entscheidungsrahmen
Mit Beschluss vom 30. Dezember 2024 (Az.: VII B 96/23) hat der Bundesfinanzhof die Nichtzulassungsbeschwerde eines Hauptzollamtes zurückgewiesen und damit entscheidende Klarheit zum Anspruch auf Zinsen bei unionsrechtswidrig erhobenen Einfuhrabgaben geschaffen. Anlass war die Konstellation, dass ein Unternehmen Abgaben auf eingeführte Monitore entrichtet hatte, die später als fehlerhaft erhoben eingestuft und erstattet wurden. Die Zollbehörde verweigerte jedoch die Zahlung von Zinsen, was Gegenstand des Verfahrens wurde. Der Fall reiht sich in die jüngere Entwicklung ein, in der der Gerichtshof der Europäischen Union – etwa in der Entscheidung „Gräfendorfer Geflügel und Tiefkühlfeinkost“ vom 28. April 2022 – die Grundsätze des unionsrechtlichen Zinsanspruchs verdeutlicht hat. Damit steht im Mittelpunkt, dass ein Unternehmen nicht nur überzahlte Einfuhrabgaben zurückerhält, sondern für den Zeitraum der Vorenthaltung auch einen finanziellen Ausgleich zugesprochen bekommt. Rechtsgrundlage bildet hier insbesondere Artikel 116 Absatz 6 des Zollkodex der Union, ergänzt durch die national anzuwendenden Vorschriften, vor allem § 238 der Abgabenordnung, die eine Verzinsung regeln.
Vorgaben des Bundesfinanzhofs im Lichte des Unionsrechts
Der Bundesfinanzhof hat in seiner Begründung deutlich hervorgehoben, dass der unionsrechtliche Zinsanspruch nicht von nationalen Besonderheiten wie Aussetzung der Vollziehung oder kostenfreiem Rechtsbehelfsverfahren abhängt. Diese Rechtsinstitute ermöglichen zwar einen zeitweiligen Schutz, ersetzen jedoch nicht die Aufgabe, wirtschaftliche Nachteile auszugleichen, die durch die tatsächliche Vorenthaltung finanzieller Mittel entstehen. Der Zinsanspruch knüpft an den Grundsatz an, dass es nicht hinnehmbar ist, wenn die öffentliche Hand durch eine unzulässige Abgabenerhebung über einen längeren Zeitraum liquide Mittel vereinnahmt, ohne die Betroffenen für entgangene Nutzungsmöglichkeiten zu kompensieren.
Juristisch zentral ist das Verhältnis von Artikel 116 Absatz 6 des Zollkodex der Union und der darüberstehenden unionsrechtlichen Primärnormen. Der Bundesfinanzhof verdeutlicht, dass die Einschränkung der Verzinsung nur in den Fällen greift, in denen die fehlerhafte Abgabe unmittelbar auf die Schnelligkeit und Fehleranfälligkeit des Zollabfertigungsverfahrens zurückzuführen ist. Eine intensivere, wenngleich fehlerhafte Prüfung durch die Zollbehörden schließt den unionsrechtlichen Zinsanspruch gerade nicht aus. Dieser Ansatz folgt strikt der Linie des Gerichtshofs der Europäischen Union, der bereits in den Entscheidungen „Wortmann“ und „Gräfendorfer Geflügel“ hervorgehoben hat, dass die Effektivität und Äquivalenz unionsrechtlicher Rechtsdurchsetzung gewährleistet bleiben muss.
In einer sachlichen Analyse lässt sich die Argumentation des Bundesfinanzhofs in drei Punkten bündeln:
- Der unionsrechtliche Anspruch auf Zinsen entsteht unmittelbar aus dem Primärrecht und ist nicht durch nationale Vorschriften beschränkbar.
- Nationales Verfahrensrecht wie die Möglichkeit der Aussetzung der Vollziehung ist für den unionsrechtlichen Ausgleichsanspruch ohne Wirkung.
- Eine fehlerhafte, zugleich aber intensiv betriebene Prüfung durch Zollbehörden führt zu einer zwingenden Verzinsungspflicht, da andernfalls der Grundsatz der Effektivität verletzt wäre.
Relevanz der Entscheidung für Unternehmen in der Praxis
Die Entscheidung hat erhebliche Bedeutung für Unternehmen, die im internationalen Warenverkehr tätig sind. Besonders für Onlinehändler, die regelmäßig elektronische Geräte importieren, eröffnet sich durch die Klarstellung des Bundesfinanzhofs die Möglichkeit, nicht nur überhöhte Zollabgaben ersetzt zu bekommen, sondern auch Anspruch auf Zinsen geltend zu machen. Das ist deshalb wesentlich, weil Liquidität und Kapitalbindung gerade für kleinere Onlinehändler über die Wettbewerbsfähigkeit entscheiden können.
Auch für Pflegeeinrichtungen oder Krankenhäuser, die medizinische Geräte aus dem Ausland importieren, stellt die Rechtsprechung einen wichtigen Aspekt dar. Sollte es zu einer fehlerhaften Einfuhrabgabe kommen, sichern die unionsrechtlich gewährten Zinsen zumindest einen finanziellen Ausgleich für die Zeit des vorübergehenden Kapitalentzugs. Der Effekt reicht bis zu mittelständischen Produktionsbetrieben, die Maschinen oder Bauteile einführen, da sich deren Finanzplanung ebenfalls durch solche Nachzahlungen beeinflussen lässt. Selbst kleinere Handwerksbetriebe, die in einzelnen Fällen Materialien aus Nicht-EU-Staaten einführen, können von dieser Linie profitieren, wenn Abgaben nach intensiver, aber fehlerhafter Kontrolle erhoben und später erstattet werden. Für Finanzinstitutionen und Steuerberatende ergibt sich daraus eine eindeutige Handlungsempfehlung: In Fällen der Rückerstattung von Einfuhrabgaben gilt es, den Anspruch auf Zinsen aktiv zu prüfen und einzufordern. Gerade weil die Finanzverwaltung sich bislang vielfach auf verfahrensrechtliche Argumente zurückzog, schaffen die Vorgaben des Bundesfinanzhofs ein tragfähiges Fundament, mit dem auch laufende Mandate proaktiv betreut werden können.
Bemerkenswert ist auch die Klarstellung des Bundesfinanzhofs zur elektronischen Risikoanalyse nach Artikel 46 des Zollkodex. Allein die Tatsache, dass eine Anmeldung nur durch das Risikoanalyse-System läuft, führt nicht dazu, einen Zinsanspruch zu verwehren. Damit wird der oftmals von Zollbehörden vertretene Standpunkt, dass bereits die bloße Durchführung einer elektronischen Kontrolle die Verzinsung ausschließe, überzeugend zurückgewiesen. Für internationale Händler bedeutet das eine größere Rechtssicherheit.
Schlussfolgerung und Ausblick für die betriebliche Praxis
Die Entscheidung des Bundesfinanzhofs unterstreicht, wie eng nationale Gerichte inzwischen an der Linie des Gerichtshofs der Europäischen Union orientiert sind. Für Unternehmen aller Größenklassen ist diese Rechtsprechung ein Signal, finanzielle Nachteile nicht hinnehmen zu müssen, wenn sie über Jahre hinweg Abgaben entrichtet haben, die unionsrechtswidrig waren. Wichtig ist, dass der unionsrechtliche Anspruch auf Zinsen strikt gewährleistet bleibt, sobald es sich um intensiv geprüfte, gleichwohl fehlerhafte Abgabenentscheidungen handelt.
Die Praxis sollte daraus ableiten, dass bei der Rückforderung von Einfuhrabgaben stets auch die Verzinsung geltend gemacht wird. Für kleine Betriebe kann dies entscheidend sein, weil sogar moderate Zinsbeträge die Liquiditätslage spürbar verbessern. Für mittlere Unternehmen und Einrichtungen im Gesundheitswesen, die regelmäßig auf funktionierende Importprozesse angewiesen sind, ergibt sich daraus eine kalkulierbare Sicherheit. Unsere Kanzlei unterstützt kleine und mittelständische Unternehmen bei solchen Fragestellungen nicht nur in der Durchsetzung steuerlicher Ansprüche, sondern auch gezielt bei der Digitalisierung und Prozessoptimierung in der Buchhaltung. Durch langjährige Erfahrung in der Betreuung unterschiedlichster Mandanten, von kleinen Betrieben über mittelständische Unternehmen bis hin zu spezialisierten Einrichtungen, realisieren wir erhebliche Kostenvorteile durch automatisierte Abläufe und moderne Strukturen.
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