Haftungsrisiken im öffentlichen Raum und ihre praktische Bedeutung
Das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 30. Juli 2025 (Az. 10 O 240/25) verdeutlicht, wie eng die Abgrenzung der Verkehrssicherungspflicht und die Eigenverantwortung von Verkehrsteilnehmenden miteinander verwoben sind. In dem zugrunde liegenden Fall stürzte ein Radfahrer in Magdeburg, nachdem er gegen einen in den Radweg hineinragenden Ast gestoßen war. Er forderte von der Stadt Schmerzensgeld und Schadenersatz, da er eine Verletzung der Pflicht zur Sicherung öffentlicher Wege sah. Das Gericht stellte jedoch klar, dass die Kommune ihrer alleinigen Verantwortung nicht nachkommt, wenn sie eine fachkundige Firma mit der Pflege eines Weges oder einer Hecke beauftragt und darauf vertrauen darf, dass diese Aufgaben fachgerecht erfüllt werden. Dieses Urteil ist nicht nur für Städte relevant, sondern bietet auch Unternehmen wertvolle Orientierung, die eigene Verkehrsflächen oder Kundenparkplätze unterhalten.
Unter der Verkehrssicherungspflicht versteht man die rechtliche Verpflichtung, Gefahrenquellen zu erkennen und angemessene Maßnahmen zu ergreifen, um Schäden zu verhindern. In der Praxis besteht diese Verpflichtung sowohl für öffentliche als auch für private Eigentümer oder Betreiber von Flächen. Dabei spielt stets die Zumutbarkeit eine entscheidende Rolle: Es muss nicht jede denkbare Gefahr ausgeschlossen, sondern nur das verhindert werden, was nach allgemeiner Lebenserfahrung als vorhersehbar und beherrschbar gilt.
Abwägung zwischen Verkehrssicherung und Eigenverantwortung
Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass die Stadt Magdeburg aufgrund der geringen Verkehrsbedeutung der betroffenen Straße und des angrenzenden Radweges nicht verpflichtet war, die Ausführung der von einem Gartenbaubetrieb übernommenen Arbeiten zusätzlich zu kontrollieren. Eine sogenannte Überwachungspflicht bestand daher nicht. Entscheidend war, dass die Kommune die Aufgabe an ein qualifiziertes Fachunternehmen übertragen hatte. Dieses durfte als sachkundig und zuverlässig angesehen werden. Aus juristischer Sicht erfüllt ein solches Vorgehen die Anforderungen des ordnungsgemäßen Organisationshandelns, das vor allem bei Haftungsfragen gegenüber öffentlichen Auftraggebern häufig geprüft wird.
Ebenso stärkt das Urteil den Aspekt der Eigenverantwortung. Der Radfahrer hätte seine Geschwindigkeit so anpassen müssen, dass er auf ein unerwartetes Hindernis hätte reagieren können. Diese Pflicht zur Selbstvorsorge ist nicht nur für Verkehrsteilnehmende bedeutsam, sondern ebenso für Beschäftigte und Kundinnen und Kunden auf dem Gelände von Unternehmen. Ob auf Betriebshöfen, in Parkhäusern oder auf Lieferzufahrten – überall gilt die Erwartung, dass die Nutzer eine gewisse Aufmerksamkeit walten lassen. Damit tragen auch sie zur Vermeidung von Unfällen und Schadensfällen bei.
Übertragbarkeit auf Unternehmen und haftungsrechtliche Konsequenzen
Für Unternehmen ergibt sich aus dem Urteil eine klare Lehre. Wer betriebliche Anlagen, Wege oder Außenflächen betreibt, muss organisatorische Strukturen schaffen, die eine regelmäßige Kontrolle und Pflege sicherstellen. Die Pflicht zur Verkehrssicherung wird hier ähnlich interpretiert wie bei kommunalen Einrichtungen: Verantwortlich ist, wer die tatsächliche Herrschaft über die Gefahrenquelle innehat. Überträgt ein Unternehmen diese Aufgabe an einen spezialisierten Dienstleister, muss sichergestellt werden, dass dieser zuverlässig, fachkundig und weisungsgebunden tätig wird. Erfolgt die Auswahl sachgerecht und liegt keine erkennbare Pflichtverletzung vor, sinkt das Haftungsrisiko erheblich.
Rechtlich betrachtet beruht dies auf dem Gedanken der Delegation von Pflichten, der in der deutschen Rechtsprechung fest verankert ist. Entscheidend ist, dass eine sorgfältige Auswahl und instruierende Kontrolle des beauftragten Unternehmens erfolgt. Eine Detailüberwachung der Arbeit ist dagegen nicht erforderlich, solange keine konkreten Anhaltspunkte für Nachlässigkeit bestehen. Für Betriebe bedeutet dies, dass die Dokumentation von Beauftragungen und Wartungsintervallen zentral ist. Im Streitfall kann sie belegen, dass alle angemessenen Maßnahmen getroffen wurden, um Gefahren für Mitarbeitende oder Dritte auszuschließen.
Gerade für kleine und mittelständische Unternehmen, darunter Handwerksbetriebe, Pflegeeinrichtungen oder Onlinehändler mit Lagerzugängen, ergibt sich daraus eine praxisrelevante Balance: Einerseits muss die Betriebssicherheit gewährleistet bleiben, andererseits darf die Organisation nicht durch übermäßige Kontrollpflichten ineffizient werden. Das Urteil des Landgerichts Magdeburg gibt hier Sicherheit, dass eine hinreichend dokumentierte, fachgerechte Beauftragung Dritter rechtlich anerkannt wird.
Praktische Handlungsempfehlungen und Fazit
In der täglichen Unternehmenspraxis sollten Verantwortliche prüfen, ob bestehende Dienstleistungsverträge für Wartung, Reinigung oder Landschaftspflege die Verkehrssicherungspflicht eindeutig regeln. Wichtig ist, dass vertraglich klar definiert wird, wer für regelmäßige Kontrollgänge, Mängelberichte und Sofortmaßnahmen im Schadensfall zuständig ist. Auch die Art der Beweissicherung, etwa durch Protokolle oder Fotodokumentation, kann im Haftungsfall entscheidend sein. Es empfiehlt sich, solche Pflichten in die Abläufe der internen Qualitätssicherung einzubetten. Für kommunale Auftraggeber wie auch private Unternehmen gilt: Eine durchdachte Organisationsstruktur ersetzt den ständigen persönlichen Kontrollgang und bietet rechtliche sowie wirtschaftliche Sicherheit.
Abschließend verdeutlicht die Entscheidung die Bedeutung einer klaren Abgrenzung von Pflichten und Verantwortlichkeiten. Sie erinnert daran, dass Sicherheitsmaßnahmen immer im Verhältnis zur Zumutbarkeit und zur Gefahrenwahrscheinlichkeit stehen. Für Unternehmen wie Kommunen ist es daher gleichermaßen wichtig, Prävention nicht als reines Haftungsrisiko, sondern als Bestandteil eines professionellen Risikomanagements zu begreifen. Unsere Kanzlei begleitet mittelständische und kleine Unternehmen bei der Digitalisierung und Prozessoptimierung in der Buchhaltung und entwickelt effiziente Abläufe, die auch in Haftungsfragen Transparenz und Nachweisfähigkeit stärken. Mit unserer Erfahrung schaffen wir Lösungen, die Kosten senken und rechtliche Sicherheit erhöhen.
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