Haftung bei Unfällen in Offenställen – aktuelle Rechtsprechung
Die Verantwortung für Sicherheit in tierhaltenden Betrieben gewinnt zunehmend an rechtlicher Bedeutung. Besonders die Rechtsprechung verdeutlicht, dass Betreiber von Pferdepensions- oder Offenställen weitreichende Verkehrssicherungspflichten tragen. Verkehrssicherungspflichten sind die rechtliche Verpflichtung, Dritte vor Gefahren zu schützen, die von einer Sache oder Anlage ausgehen können. Im Mittelpunkt steht dabei stets die Frage, welche Maßnahmen objektiv erforderlich und zumutbar sind, um Schäden zu vermeiden. Ein aktuelles Urteil des Landgerichts Koblenz vom 2. Oktober 2025 (Az. 4 O 305/22) zeigt, dass Betreiber ihrer Prüf- und Sicherungspflichten sorgfältig nachkommen müssen, um Haftungsrisiken zu vermeiden.
Im entschiedenen Fall war ein Junghengst in einem Offenstall im Rahmen spielerischer Interaktionen mit anderen Pferden über ein Metallteil gestürzt, das aus einem Betonsockel herausragte. Das an sich unbedeutend wirkende Bauteil hatte sich zu einer erheblichen Gefahrenquelle entwickelt, weil die Verbindung zwischen Pfosten und Flacheisen gelöst war. Nach Ansicht des Gerichts lag eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht vor, da ein solcher Zustand objektiv vorhersehbar riskant war. Die Stallbetreiberin wurde verpflichtet, Schadensersatz zu leisten.
Rechtliche Grundlagen und Bewertung der Entscheidung
Das Gericht stützt seine Entscheidung auf § 280 Absatz 1, § 241 Absatz 2 und § 823 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Nach § 241 Absatz 2 besteht die Pflicht der Vertragsparteien, auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils Rücksicht zu nehmen. Diese Pflicht wird im Rahmen eines Verwahrungsvertrags oder Pensionsvertrags besonders weit ausgelegt. § 823 Absatz 1 legt fest, dass derjenige, der fahrlässig oder vorsätzlich das Eigentum oder die Gesundheit eines anderen verletzt, zum Schadensersatz verpflichtet ist. Im zugrunde liegenden Fall war das Pferd zwar nach § 90a rechtlich keine Sache, wird jedoch in Bezug auf Eigentumsschutz wie eine solche behandelt, sodass die Eigentümerin Schadensersatz verlangen konnte.
Das Landgericht stellte fest, dass bereits der Zustand eines nicht befestigten Pfostens eine latent gefährliche Situation darstellte. Die Betreiberin hätte erkennen müssen, dass insbesondere junge Pferde durch spielerische Bewegungen oder Rangkämpfe eine erhebliche Kraft entfalten können. Tierische Verhaltensmuster sind kein außergewöhnliches oder unvorhersehbares Ereignis, sondern gehören zum typischen Umfeld einer Pferdehaltung. Deshalb war es nicht ausreichend, dass der Pfosten in der Vergangenheit stabil erschien. Die Entscheidung stärkt damit die Rechtssicherheit für Tierhalterinnen und Tierhalter, verdeutlicht aber zugleich die hohen Anforderungen an gewerbliche Stallbetreibende.
Praktische Konsequenzen für Stallbetreiber und Unternehmen
Für Betreiber von Offenställen ergibt sich aus diesem Urteil die dringende Empfehlung, sämtliche baulichen Anlagen regelmäßig auf Sicherheitsmängel zu überprüfen. Bereits geringfügige Schäden, bauliche Instabilität oder korrodierte Metallteile können zu erheblichen Haftungsrisiken führen. Auch für Landwirtinnen, landwirtschaftliche Genossenschaften oder Betreiber von Reitanlagen gilt: Wartungsroutinen sollten dokumentiert, Gefahrenquellen systematisch beseitigt und der Zustand relevanter Bestandteile regelmäßig nachvollziehbar geprüft werden. Das Unterlassen solcher Maßnahmen kann nicht nur zivilrechtliche Schadensersatzansprüche nach sich ziehen, sondern auch Auswirkungen auf Versicherungsleistungen haben.
Das Urteil ist ebenso auf andere Branchen übertragbar, die Tiere oder Maschinen mit Eigenbewegungspotenzial halten oder betreiben – etwa in Tierkliniken, Tierpensionen oder Pflegeeinrichtungen mit tiergestützten Therapieangeboten. Die Kernaussage lautet stets, dass der Betriebsinhaber die tatsächliche Sachherrschaft trägt und somit Verantwortung für potenzielle Gefahrenquellen übernimmt. Eine bloße Beobachtung oder visuelle Kontrolle genügt häufig nicht; entscheidend ist die objektive Eignung der Sicherheitsvorkehrungen, mögliche Verletzungen zu verhindern. Auch Onlinehändler oder Logistikunternehmen mit Lagerhallenstrukturen können aus dieser Rechtsprechung lernen, dass die Instandhaltung und Dokumentation technischer Einrichtungen zentral für die Haftungsvermeidung sind.
Fazit und Handlungsempfehlung
Das Urteil des Landgerichts Koblenz verdeutlicht, dass Verkehrssicherungspflichten eng mit organisatorischer Verantwortung und Risikomanagement verbunden sind. Betreiber von Tierhaltungs- oder Pensionsbetrieben müssen die Eigenart des ihnen anvertrauten Umfelds stets berücksichtigen und die Pflichten nicht auf das offenkundig Notwendige beschränken. Die Rechtsprechung verlangt ein Mitdenken in Szenarien, die aufgrund typischer tierischer Verhaltensweisen realistisch eintreten können. In einem modernen, betriebswirtschaftlich geführten Umfeld gehören präventive Sicherheitsstrukturen und eine lückenlose Dokumentation zu den Grundpfeilern rechtssicheren Handelns.
Als Kanzlei, die kleine und mittelständische Unternehmen in Fragen der Prozessoptimierung und Digitalisierung unterstützt, legen wir besonderen Wert darauf, betriebliche Abläufe nicht nur rechtssicher, sondern zugleich effizient zu gestalten. Durch digitale Prüf- und Dokumentationsverfahren in der Buchhaltung und im betrieblichen Risikomanagement lassen sich Fehlerquellen frühzeitig erkennen und erhebliche Kosten langfristig vermeiden. Unsere Erfahrung aus der Begleitung unterschiedlichster Mandanten – vom Kleinstbetrieb bis zum mittelständischen Unternehmen – zeigt, dass modern strukturierte Prozesse zugleich Sicherheit und Wirtschaftlichkeit steigern.
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