Die betriebliche Vergütungslandschaft ist in vielen Unternehmen zunehmend leistungsorientiert ausgestaltet. Gerade im Vertriebsumfeld, aber auch in anderen Branchen mit Zielvorgaben, ist die variable Vergütung ein zentrales Steuerungsinstrument. Das Bundesarbeitsgericht hat am 2. Juli 2025 (Az. 10 AZR 119/24) eine wichtige Entscheidung dazu getroffen, ob und in welchem Umfang variable Vergütungsbestandteile während einer Elternzeit anteilig gekürzt werden dürfen. Diese Entscheidung hat nicht nur Bedeutung für große Versicherungsunternehmen, sondern auch für kleinere Betriebe, Pflegeeinrichtungen oder Onlinehändler, die ihren Mitarbeitenden leistungsabhängige Lohnanteile gewähren.
Kürzung variabler Vergütungsbestandteile bei Elternzeit – rechtlicher Hintergrund und Entscheidung
Im entschiedenen Fall verlangte ein Außendienstmitarbeiter die ungekürzte Auszahlung seiner variablen Vergütung für das Jahr 2022, obwohl er für zwei Monate in Elternzeit war. Sein Arbeitgeber hatte die Vergütung zeitanteilig gemindert. Der Kläger argumentierte, die Gesamtbetriebsvereinbarung über das Vergütungssystem enthalte keine ausdrückliche Kürzungsklausel und die variablen Einkommensanteile seien ausschließlich erfolgsabhängig, nicht aber an die tatsächliche Arbeitszeit gebunden. Der Arbeitgeber hingegen berief sich auf den Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“ aus §§ 611a, 614 Bürgerliches Gesetzbuch und verwies darauf, dass während der Elternzeit das Arbeitsverhältnis ruht, wodurch auch der Vergütungsanspruch entfällt.
Das Bundesarbeitsgericht bestätigte die Argumentation des Arbeitgebers und wies die Revision des Arbeitnehmers zurück. Der Senat stellte klar, dass der Grundsatz der Gegenseitigkeit von Arbeitsleistung und Vergütung (das sogenannte Synallagma) auch für variable Vergütungsbestandteile gilt. Solange und soweit ein Arbeitnehmer keine Arbeitsleistung erbringt, besteht kein Anspruch auf das arbeitsleistungsbezogene Entgelt, selbst wenn betriebliche Zielgrößen formal erreicht werden. Die Richter betonten, dass der variable Vergütungsbestandteil Teil des synallagmatischen Entgelts ist und gleichermaßen wie das Fixum nur für tatsächlich geleistete Arbeit fällig wird. Eine gesonderte Kürzungsregelung sei hierfür nicht erforderlich, da die Kürzung bereits gesetzlich begründet ist. Diese Argumentation gilt ausdrücklich auch bei Elternzeit, während der das Arbeitsverhältnis ruht.
Auch wenn in der betrieblichen Praxis ältere Gesamtbetriebsvereinbarungen teilweise ausdrückliche Kürzungsklauseln enthielten, ändere deren Fehlen in neueren Vereinbarungen nichts am gesetzlichen Entfall des Vergütungsanspruchs. Das Gericht legte nachvollziehbar dar, dass die Betriebsparteien durch Schweigen keine abweichende Vergütungsabsicht dokumentiert haben. Maßgeblich bleibe das arbeitsvertragliche Grundprinzip. Ein Arbeitnehmer, der während der Elternzeit von allen Leistungspflichten befreit ist, kann daher keine volle variable Vergütung beanspruchen, auch wenn seine Abteilung oder die von ihm betreuten Teams ihre Jahresziele erreicht haben.
Rechtliche Einordnung und praktische Relevanz für Unternehmen
Das Urteil ist von erheblicher Tragweite für alle Unternehmen, die leistungsabhängige Vergütungssysteme einsetzen. Es schärft die Abgrenzung zwischen arbeitsleistungsbezogenen und betriebstreuebezogenen Entgeltbestandteilen. Nach der Begründung des Gerichts ist die variable Vergütung dann arbeitsleistungsbezogen, wenn sie unmittelbar oder mittelbar an die individuelle Arbeitsleistung anknüpft – selbst wenn sie an kollektive Erfolgsindikatoren wie Verkaufszahlen, Pflegekennziffern oder Erträge des betreuten Kundenkreises gekoppelt ist. Nur in Ausnahmefällen, etwa bei echten Gratifikationen oder Betriebstreueprämien, kann die Zahlung unabhängig von der Arbeitsleistung aufrechterhalten werden.
Das Gericht verdeutlichte zudem, dass auch bei nicht exakt messbaren Einzelleistungen eine Kürzung erfolgen darf. In vielen Unternehmen, etwa in Versicherungen, Banken, Pflegeeinrichtungen oder IT-Dienstleistern, hängt der Teamerfolg von verschiedenen Mitwirkungsanteilen ab. Das Bundesarbeitsgericht lässt hier ausdrücklich genügen, dass die Arbeitsleistung mittelbar zum Erfolg beiträgt – entfällt sie zeitweise durch Elternzeit, müsse der Arbeitgeber für diesen Zeitraum keine Vergütung zahlen. Diese Logik lässt sich auf weitere Ruhensphasen des Arbeitsverhältnisses anwenden, etwa beim unbezahlten Sonderurlaub oder bei längerfristigen Freistellungen.
Für Arbeitgeber bedeutet das Urteil eine Bestätigung ihrer bisherigen Praxis und eine wichtige rechtliche Absicherung. Die Entscheidung entlastet sie von der Sorge, versehentlich gegen Diskriminierungs- oder Gleichbehandlungsgrundsätze zu verstoßen, wenn sie bei Elternzeit anteilig kürzen. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben hingegen die Gewissheit, dass die Kürzung auf einer klaren gesetzlichen Grundlage beruht und keine willkürliche Benachteiligung darstellt. Betriebsräte sollten künftig darauf achten, Vergütungsvereinbarungen eindeutig zu formulieren und den Ruhenstatbestand ausdrücklich zu berücksichtigen, um Transparenz und einheitliche Abrechnungspraxis sicherzustellen.
Konkrete Bedeutung für kleine und mittelständische Unternehmen
Kleine Unternehmen und Handwerksbetriebe, aber auch Pflegeeinrichtungen, Agenturen oder Onlinehändler profitieren von der Klarstellung, weil sie häufig variable Vergütungssysteme nutzen, ohne über eigene Arbeitsrechtsexperten zu verfügen. Viele Betriebe gewähren erfolgsabhängige Boni, Provisionen oder Zielprämien, etwa für Umsatzsteigerungen, neue Kundenverträge oder Qualitätskennziffern. Diese Zahlungen fallen regelmäßig unter die Definition des arbeitsleistungsbezogenen Entgelts. Daher dürfen sie während Phasen, in denen keine Arbeitsleistung erbracht wird, zeitanteilig reduziert werden. Das Urteil schafft Rechtssicherheit und reduziert das Risiko späterer Nachforderungen.
Zugleich ist es für die Personal- und Lohnbuchhaltung bedeutsam, dass entsprechende Kürzungen dokumentiert und nachvollziehbar begründet werden. Unternehmerinnen und Unternehmer sollten prüfen, ob ihre bestehenden Bonusregelungen, Betriebsvereinbarungen oder Zielsysteme kongruent mit der Rechtsprechung ausgestaltet sind. Hier empfiehlt sich eine einheitliche Formulierung, die klarstellt, dass variable Entgeltbestandteile nur für Zeiträume geschuldet sind, in denen Arbeitsleistung erbracht oder eine gesetzliche Entgeltfortzahlungspflicht besteht. Steuerberater und Personalverantwortliche können anhand der Entscheidung jetzt sicherer beurteilen, wie variable Vergütungen steuerlich und lohnrechtlich zu behandeln sind, insbesondere bei Teilmonaten und Ruhenszeiten.
Zukunftsperspektive und Fazit für die Unternehmenspraxis
Mit dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 2. Juli 2025 liegt nun eine klare Leitentscheidung zum Verhältnis von variabler Vergütung und Elternzeit vor. Das Gericht bekräftigt, dass Arbeitgeber die variable Vergütung rechtmäßig anteilig kürzen dürfen, wenn Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer während eines Teils des Bezugsjahres keine Arbeitsleistung erbringen. Das stärkt die Rechtsklarheit und trägt dazu bei, Vergütungssysteme gerechter und kalkulierbarer zu gestalten. Für die Praxis bedeutet das, dass Unternehmen ihr Vergütungsmanagement stärker an den arbeitsleistungsbezogenen Charakter der Zahlungen anlehnen und interne Prozesse entsprechend strukturieren sollten.
Unsere Kanzlei unterstützt insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen bei der rechtssicheren Umsetzung moderner Vergütungs- und Abrechnungssysteme. Wir optimieren Buchhaltungs- und Lohnprozesse digital, verbessern die Datenflüsse zwischen Personalwesen und Steuerberatung und helfen so, Personal- und Verwaltungskosten nachhaltig zu reduzieren.
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