Viele Unternehmen stehen jährlich vor der Herausforderung, den Urlaubsanspruch ihrer Mitarbeitenden korrekt zu berechnen. Besonders dort, wo Schichtsysteme oder unregelmäßige Dienstpläne gelten – etwa im Pflegebereich, im Rettungsdienst oder bei Onlinehändlern mit 24/7-Betrieb – entstehen häufig Abgrenzungsprobleme zwischen Arbeits- und Kalendertagen. Eine aktuelle Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 19. August 2025 (Az. 9 AZR 216/24) bringt nun wichtige Klarheit: Urlaubsansprüche sind grundsätzlich arbeitstagbezogen zu berechnen und zu erfüllen, nicht nach Kalendertagen. Auch im Rettungsdienst mit verlängerten Schichtsystemen gilt dieses Prinzip.
Urlaubsanspruch berechnet sich ausschließlich nach Arbeitstagen
Das Bundesarbeitsgericht hatte sich mit der Klage eines Notfallsanitäters zu befassen, der bei einem Rettungsdienst mit rollierendem Schichtplan tätig war. Streitpunkt war, ob ihm für Feiertage und Vorfeiertage Urlaub abgezogen werden durfte, obwohl er an diesen Tagen ohnehin dienstplanmäßig frei hatte. Das Gericht stellte unmissverständlich klar, dass der Urlaubsanspruch ausschließlich auf Arbeitstagen beruht – also auf jenen Tagen, an denen tatsächlich eine Arbeitspflicht besteht. Feiertage, an denen ohnehin keine Pflicht zur Arbeitsleistung besteht, dürfen somit nicht als Urlaubstage gewertet werden.
Damit bekräftigt der 9. Senat des Gerichts die bestehende arbeitsrechtliche Systematik nach dem Bundesurlaubsgesetz: Urlaub soll zur Erholung von tatsächlicher Arbeit dienen und nicht bloß zeitliche Freiräume verlängern, die ohnehin arbeitsfrei wären. Die Urlaubsgewährung an einem Tag ohne Arbeitspflicht würde das System des gesetzlichen Mindesturlaubs verfälschen und den Erholungszweck konterkarieren.
Rechtlicher Hintergrund und Begründung der Entscheidung
Das Gericht stützt seine Begründung sowohl auf das Bundesurlaubsgesetz als auch auf tarifvertragliche Regelungen, insbesondere den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst. Nach § 26 TVöD richtet sich der Jahresurlaub nach der Zahl der Arbeitstage pro Woche. Wer seine Arbeitszeit auf weniger als fünf Tage verteilt, erhält einen entsprechend reduzierten, wer auf mehr Tage verteilt, einen höheren Urlaubsanspruch. Das Gericht wendet konsequent die sogenannte Jahresformel an, nach der sich der Urlaubsanspruch aus der tatsächlichen Anzahl der Arbeitstage multipliziert mit dem tariflichen Standardanspruch errechnet. Dadurch gewährleistet es eine einheitliche, transparente und gerechte Berechnungsgrundlage.
Der tragende Gedanke dieser Auslegung liegt im Gleichwertigkeitsprinzip: Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer soll – unabhängig von der individuellen Verteilung der Arbeitszeit – eine gleich lange zusammenhängende Erholungsphase haben. Folglich darf der Begriff „Urlaubstag“ nicht mit einem Kalendertag verwechselt werden. Bei Vollzeitkräften in einem Fünf-Tage-System ergibt sich ein Jahresurlaub von 30 Arbeitstagen. Bei einer anderen Verteilung der Arbeitszeit, etwa bei Zwölf- oder 24-Stundendiensten, ist der Anspruch entsprechend anzupassen.
Darüber hinaus verdeutlicht die Entscheidung, dass tarifliche oder betriebliche Abweichungen von diesem Grundsatz nur dort möglich sind, wo der Tarifvertrag dies ausdrücklich vorsieht. Der Versuch, den Urlaubsanspruch in Kalendertagen zu fassen, verstößt gegen den Charakter des Urlaubsrechts. Relevant ist vielmehr ausschließlich die Frage, an wie vielen Tagen der Mitarbeitende arbeitsvertraglich zur Leistung verpflichtet ist.
Relevanz der BAG-Entscheidung für Mittelstand, Pflege und Onlinehandel
Die Entscheidung hat erhebliche praktische Auswirkungen für kleine und mittlere Unternehmen, insbesondere solche mit Schicht- und Dienstsystemen. In Pflegeeinrichtungen oder Kliniken etwa, wo das Personal in mehrschichtigen Diensten arbeitet, sorgt die arbeitstagbezogene Berechnung für präzisere Personalplanung und verhindert Über- oder Unteransprüche. Auch Rettungsdienste, die mit 24-Stunden-Schichten arbeiten, müssen ihre Urlaubsverwaltung anpassen: Entscheidend ist der tatsächliche Arbeitstag, nicht das Kalendertagsprinzip.
Für Onlinehändler und Logistikunternehmen mit Wochenend- und Feiertagsarbeit bietet das Urteil ebenfalls Orientierung. Viele Betriebe rechnen bislang mit Kalenderwochenmodellen und berücksichtigen Feiertage pauschal. Durch die Neubewertung des Urlaubs nach tatsächlichen Arbeitstagen können Urlaubspläne realistischer kalkuliert und Konflikte in der Einsatzplanung reduziert werden. Fehlt eine eindeutige Abgrenzung, drohen sonst Unstimmigkeiten zwischen Führungskräften und Beschäftigten über Urlaubsstände und Ausgleichspflichten.
Gerade kleine Betriebe profitieren von der nun klaren Linie des Gerichts: Sie können ihre Zeiterfassungssysteme und Lohnbuchhaltung besser auf die gesetzliche Grundlage abstimmen und vermeiden durch fehlerhafte Urlaubsberechnung teure Nachbesserungen. Für Steuerberatende und Lohnbüros eröffnet die Entscheidung zudem die Möglichkeit, Mandanten gezielt zu beraten, wie Urlaubskonten digital korrekt geführt und rechtssicher dokumentiert werden können.
Ein weiterer praktischer Nutzen liegt in der Kompatibilität digitaler Tools zur Zeiterfassung mit den rechtlichen Vorgaben. Systeme, die noch auf Kalendertagslogik basieren, sollten angepasst werden. Eine korrekte Tagessystematik verhindert spätere Streitigkeiten – gerade dann, wenn Mitarbeitende Freizeiten an Feiertagen beanspruchen oder Mehrarbeit leisten.
Fazit: Rechtssicherheit durch arbeitstagbezogene Urlaubsberechnung
Mit der Entscheidung schafft das Bundesarbeitsgericht einen wichtigen Rahmen für Transparenz und Rechtssicherheit in der Urlaubsverwaltung. Die deutliche Abkehr vom Kalenderprinzip stärkt sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer, da sie eine einheitliche und nachvollziehbare Grundlage für die Berechnung und Erfüllung von Urlaubsansprüchen vorgibt. Unternehmen sollten die Entscheidung nutzen, um bestehende Dienstplan- und Zeiterfassungssysteme auf ihre Konformität zu prüfen und gegebenenfalls anzupassen.
Besonders für Pflegeeinrichtungen, kleine Betriebe des Gesundheitswesens und Onlinehändler bietet das Urteil Gelegenheit, Urlaub und Arbeitszeitmanagement effizienter zu gestalten. Eine klar strukturierte, digital gestützte Urlaubsverwaltung nach Arbeitstagen reduziert Fehler und Konflikte. Unsere Kanzlei begleitet seit Jahren kleine und mittelständische Unternehmen bei der Digitalisierung und Optimierung ihrer Buchhaltungs- und Personalprozesse. Durch gezielte Prozessautomatisierung entstehen dauerhafte Kostenersparnisse und eine deutliche Vereinfachung der betrieblichen Abläufe.
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