Originalität als Maßstab des urheberrechtlichen Schutzes
Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in der Rechtssache C‑580/23 klargestellt, dass Gebrauchsgegenstände, etwa Möbel oder andere Objekte des täglichen Lebens, grundsätzlich denselben urheberrechtlichen Maßstäben unterliegen wie Kunstwerke oder literarische Schöpfungen. Entscheidend für den urheberrechtlichen Schutz ist demnach ausschließlich die Originalität der Gestaltung. Das bedeutet, dass ein Werk die Persönlichkeit seines Urhebers widerspiegeln muss, indem es auf freien und kreativen Entscheidungen beruht. Diese Entscheidungen dürfen nicht durch technische, funktionale oder sonstige Zwänge derart vorgegeben sein, dass kein Raum für individuelle Gestaltung bleibt.
Damit wendet der Gerichtshof eine einheitliche Definition des Werkbegriffs an. Weder besteht ein Vorrang noch ein Nachrang des Geschmacksmusterrechts gegenüber dem Urheberrecht. Beide Schutzarten existieren unabhängig voneinander und können nebeneinander Anwendung finden, sofern der betreffende Gegenstand die Voraussetzungen beider Schutzregime erfüllt. Für Unternehmen, insbesondere aus der Möbel- oder Designbranche, eröffnet dies weitreichende Möglichkeiten, zugleich aber auch Risiken: Einerseits lassen sich Produkte effektiver schützen, andererseits steigt die Gefahr von Verletzungsvorwürfen bei ähnlicher Gestaltung.
Abgrenzung zum Geschmacksmusterrecht
Das Geschmacksmusterrecht schützt industriell oder handwerklich gefertigte Gegenstände, die neu sind und Eigenart aufweisen. Es soll Erfindern und Designern ermöglichen, ihre Investitionen in Entwurf und Herstellung wirtschaftlich zu nutzen, ohne den Wettbewerb dauerhaft zu beschränken. Dagegen ist das Urheberrecht stärker auf den Ausdruck der individuellen Kreativität ausgerichtet und bietet, sofern die Originalitätsschwelle überschritten ist, einen deutlich längeren Schutzzeitraum.
Der Gerichtshof betont, dass es kein Regel‑Ausnahme‑Verhältnis zwischen beiden Schutzsystemen gibt. Damit kann ein Gebrauchsgegenstand, der zugleich Serienprodukt ist, durchaus auch als urheberrechtlich geschütztes Werk gelten, wenn seine Gestaltung Ausdruck einer individuellen schöpferischen Leistung ist. Das gilt selbst dann, wenn der Schaffende vorhandene Formen kombiniert oder sich an bestehenden Designs orientiert, solange die Anordnung oder Verbindung dieser Formen auf persönlichen Entscheidungen beruht. Für kleine und mittelständische Unternehmen, etwa Tischlereien, Innenausstatter oder technische Produktentwickler, bedeutet dies, dass sie die Kreativität ihrer Entwürfe gezielt dokumentieren sollten, um ihre Rechte zu stärken und mögliche Abgrenzungsprobleme in Streitfällen zu vermeiden.
Kriterien der Verletzungsprüfung
Für die Beurteilung einer möglichen Urheberrechtsverletzung kommt es nach dem Urteil nicht auf den Gesamteindruck der beiden sich gegenüberstehenden Gegenstände an, sondern darauf, ob erkennbare kreative Elemente des geschützten Werks übernommen wurden. Die sogenannte Gestaltungshöhe oder die Wahrscheinlichkeit einer zufälligen Ähnlichkeit spielt keine maßgebliche Rolle. Entscheidend ist vielmehr, ob sich die originellen Bestandteile in der beanstandeten Gestaltung wiederfinden und somit die schöpferische Eigenleistung des ursprünglichen Urhebers in erkennbarer Weise fortwirkt.
Unternehmen, die im Design- oder Möbelhandel tätig sind, sollten dieses Urteil besonders sorgfältig betrachten. Für Onlinehändler, die modulare Systeme, Designmöbel oder funktionale Alltagsprodukte anbieten, steigt die Bedeutung einer klaren Dokumentation der Entwicklungsschritte und Quellen der Gestaltung. Eine plausible Darlegung, dass eine eigenständige Entwicklung erfolgt ist, kann im Konfliktfall helfen, Vorwürfe der Nachahmung zu entkräften. Zugleich erweitert sich damit für innovative Anbieter die Möglichkeit, Rechtsverletzungen eigener Produkte konsequenter zu verfolgen.
Praktische Konsequenzen für Unternehmen
Die Entscheidung stärkt den Stellenwert des Urheberrechts für wirtschaftlich verwertbare Gebrauchsgegenstände. Sie zwingt Betriebe, besonders im handwerklichen und industriellen Umfeld, ihr Designverständnis neu zu justieren. Was bislang häufig als reines Funktionsprodukt betrachtet wurde, kann nun urheberrechtlich relevant sein. Dadurch entsteht eine neue Verantwortung im Umgang mit Entwürfen, Katalogen und digitalen Produktabbildungen.
Für produzierende Unternehmen bedeutet dies auch, dass interne Prozesse zur Entwicklung, Freigabe und Archivierung von Gestaltungen überprüft und dokumentiert werden sollten. Gerade im Hinblick auf künftige Beweisführungen ist eine revisionssichere Ablage entworfener Skizzen oder CAD‑Dateien empfehlenswert. Ebenso sollten Lizenzvereinbarungen mit Designerinnen und Designern präzise regeln, wem die Urheberrechte zustehen und welche Nutzungsarten abgedeckt sind.
Für Handelsunternehmen, die Designprodukte vertreiben, ergibt sich eine gesteigerte Prüfungspflicht bei der Sortimentszusammenstellung. Urheberrechtliche Verletzungen können nicht nur Unterlassungs‑ und Schadensersatzansprüche nach sich ziehen, sondern auch Reputationsschäden verursachen. Im internationalen E‑Commerce ist zusätzlich zu beachten, dass der urheberrechtliche Schutz in der Europäischen Union weitgehend harmonisiert ist, eine Gestaltung also in mehreren Mitgliedstaaten geschützt sein kann. Dies betrifft insbesondere Onlinehändler, die Möbel, Accessoires oder technische Module grenzüberschreitend anbieten.
Fazit und Empfehlung für die Praxis
Die Entscheidung des Gerichtshofs verdeutlicht, dass die Grenze zwischen Kunst und Gebrauchsgegenstand juristisch durch die Qualität individueller Kreativität bestimmt wird. Für kleine und mittelständische Betriebe bietet dies Chancen zur Wertschöpfung über geistiges Eigentum, verlangt aber zugleich eine erhöhte Sorgfalt in der Produktentwicklung und Vermarktung. Unternehmen sollten ihre Entwurfsprozesse stärker unter rechtlichen Gesichtspunkten betrachten und bei neuen Designs frühzeitig eine urheberrechtliche Bewertung vornehmen. Das gilt nicht nur für Hersteller, sondern auch für Onlinehändler und Einrichtungshäuser, die zunehmend digitalisierte Sortimente führen.
Unsere Kanzlei unterstützt kleine und mittelständische Unternehmen dabei, ihre internen Prozesse in der Buchhaltung und Dokumentation zu digitalisieren und zu optimieren. Durch den gezielten Einsatz digitaler Lösungen lassen sich nicht nur steuerliche Abläufe effizient gestalten, sondern auch geistige Eigentumsrechte transparent und kosteneffizient absichern – eine wesentliche Grundlage für nachhaltigen wirtschaftlichen Erfolg.
Gerichtsentscheidung lesen