Hintergrund des sogenannten Treaty Override
Das Konzept des sogenannten Treaty Override spielt im internationalen Steuerrecht eine zentrale Rolle. Gemeint ist damit die bewusste Abweichung einer nationalen Steuervorschrift von den Regelungen eines völkerrechtlich verbindlichen Doppelbesteuerungsabkommens. Nach deutschem Verständnis sind solche Doppelbesteuerungsabkommen Teil der innerstaatlichen Rechtsordnung und völkerrechtlich verpflichtend. Gleichwohl räumt die Rechtsprechung dem nationalen Gesetzgeber grundsätzlich die Möglichkeit ein, durch spätere nationale Gesetze eine Abkommensregelung zu übersteuern, wenn dies ausdrücklich beabsichtigt ist. Im Einkommensteuergesetz wurde dies in § 50d Absatz 9 Satz 1 Nummer 2 festgelegt. Diese Norm schließt die Anwendung von Abkommensvergünstigungen dann aus, wenn Einkünfte im anderen Vertragsstaat nur deshalb nicht besteuert werden, weil dort keine unbeschränkte Steuerpflicht aufgrund von Wohnsitz oder Geschäftsleitung besteht.
Der Hintergrund dieser Regelung ist klar: Sie soll verhindern, dass Personen mit Inlandswohnsitz, die in einem anderen Staat arbeiten, eine unberechtigte Doppel-Nichtbesteuerung erzielen. Gerade für international tätige Fachkräfte, etwa Pilotinnen und Piloten, Beraterinnen und Berater oder Beschäftigte im medizinischen Dienst, ist die Vorschrift von erheblicher Bedeutung. Auch kleine und mittelständische Unternehmen, die Mitarbeitende temporär im Ausland einsetzen, müssen die steuerlichen Folgen solcher Regelungen genau verstehen, um unvorhergesehene Steuerbelastungen zu vermeiden.
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Oktober 2025
Das Bundesverfassungsgericht hatte im Beschluss vom 21. Oktober 2025 (Az. 2 BvL 21/14) über die Zulässigkeit einer Richtervorlage des Bundesfinanzhofs zu entscheiden. In dieser Vorlage ging es um die Frage, ob die Regelung des § 50d Absatz 9 Satz 1 Nummer 2 und der hierzu gehörende Absatz 9 Satz 3 mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Konkret war zu prüfen, ob der Gesetzgeber gegen völkerrechtliche Verpflichtungen verstößt, wenn er eine solche Abkommensüberschreibung anordnet, und ob die rückwirkende Anwendung der Neuregelung verfassungsgemäß ist.
Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass die Vorlage unzulässig ist, weil das vorlegende Gericht nicht ausreichend dargelegt hatte, warum die Gültigkeit der Normen für die Entscheidung des Ausgangsverfahrens entscheidungserheblich ist. Mit anderen Worten: Der Bundesfinanzhof hatte nicht präzise genug gezeigt, inwiefern das Ergebnis des Ausgangsverfahrens von der verfassungsrechtlichen Einschätzung dieser Normen abhing.
Im Ausgangsfall ging es um einen Piloten mit Wohnsitz in Deutschland, der für eine irische Fluggesellschaft tätig war. Zwar hatte diese zunächst Steuern in Irland einbehalten, diese wurden ihm jedoch zurückerstattet. Das deutsche Finanzamt bezog die Einkünfte in voller Höhe in die Bemessung der Einkommensteuer ein. Das Finanzgericht hatte dem Piloten Recht gegeben, der Bundesfinanzhof sah aber Klärungsbedarf hinsichtlich der Vereinbarkeit der nationalen Regelung mit dem Grundgesetz und legte dem Bundesverfassungsgericht vor. Dieses verneinte jedoch die Zulässigkeit der Vorlage, da die tatsächlichen Voraussetzungen des Doppelbesteuerungsabkommens nicht ausreichend geprüft worden seien. Insbesondere fehlten Feststellungen zur irischen Rechtslage, die notwendig gewesen wären, um eine konkrete Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit treffen zu können.
Praktische Bedeutung der Entscheidung
Die Entscheidung ist vor allem ein Lehrstück über die Anforderungen an eine verfassungsgerichtliche Vorlage. Für Unternehmen und Steuerpflichtige bedeutet sie, dass die Rechtslage in Bezug auf den Treaty Override unverändert bleibt. § 50d Absatz 9 bleibt grundsätzlich anwendbar, und die Finanzverwaltung hat weiterhin die Möglichkeit, Einkünfte aus ausländischen Quellen in Deutschland zu besteuern, wenn eine Freistellung im Ausland ausschließlich aufgrund fehlender persönlicher Steuerpflicht erfolgt.
Für international tätige Unternehmen, insbesondere für Firmen mit grenzüberschreitenden Beschäftigungsverhältnissen oder mit entsandten Mitarbeitenden, bleibt die korrekte steuerliche Behandlung solcher Einkünfte ein sensibles Thema. Fehlende Kenntnis über die tatsächliche Steuerpflicht im Ausland kann zu erheblichen Nachzahlungen führen. Daher ist es entscheidend, bei Auslandseinsätzen von Mitarbeitenden die Besteuerungsverhältnisse sorgfältig zu dokumentieren und entsprechende Nachweise zu sichern.
Auch für Steuerberatende und Finanzverantwortliche ist die Entscheidung ein Signal, die Prüfung der Besteuerung im Ausland nicht nur formal, sondern inhaltlich umfassend vorzunehmen. Eine kursorische Darstellung des ausländischen Steuerrechts reicht weder für die Finanzverwaltung noch für die gerichtliche Beurteilung aus. Dies gilt umso mehr, wenn es um die Anwendung von Doppelbesteuerungsabkommen geht, die Auslegungsspielräume enthalten. Hier ist eine genaue Analyse des jeweiligen Vertragstextes, der nationalen Vorschriften und der tatsächlichen Steuerpraxis des Vertragsstaates erforderlich.
Fazit und Handlungsempfehlungen
Das Bundesverfassungsgericht hat durch seine Entscheidung weniger zur materiellen Steuerrechtslage beigetragen als vielmehr zur Verfahrensdisziplin. Für Unternehmen bleibt es unerlässlich, das Zusammenspiel zwischen nationalem Steuerrecht und völkerrechtlichen Verpflichtungen aufmerksam zu beobachten. Der Treaty Override nach § 50d Absatz 9 Einkommensteuergesetz bleibt ein relevantes Instrument der Finanzverwaltung, das in der Praxis weiterhin angewendet werden wird. Steuerpflichtige sollten sich daher nicht auf vermeintliche Steuerfreistellungen im Ausland verlassen, sondern stets prüfen lassen, ob diese einkommensteuerlich in Deutschland kompensiert werden könnten.
Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen, die zunehmend international agieren, sollten frühzeitig steuerliche Beratung in Anspruch nehmen, um Doppel- oder Nichtbesteuerungsrisiken zu vermeiden. Dabei spielt die Digitalisierung der Buchführungs- und Nachweisprozesse eine immer wichtigere Rolle. Unsere Kanzlei unterstützt kleine und mittelständische Unternehmen bei der digitalen Prozessoptimierung, der Implementierung effizienter Buchhaltungssysteme und der Einhaltung sämtlicher steuerlicher Vorgaben. Der Fokus liegt auf nachhaltiger Digitalisierung und der Nutzung von Automatisierungspotenzialen, die sowohl Transparenz als auch erhebliche Kostenersparnisse ermöglichen.
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