Die Frage, welcher Tarifvertrag in Unternehmen anwendbar ist, wenn sich die Tariflandschaft über die Jahre ändert, beschäftigt viele Arbeitgeber ebenso wie Steuerberatende und Institutionen aus dem Finanzwesen. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit seiner Entscheidung vom 21. Mai 2025 (Az. 4 AZR 155/24) eine wichtige Klarstellung zu den Grenzen von Bezugnahmeklauseln und der Dynamik von Tarifverträgen getroffen. Besonders betroffen sind Branchen mit komplexen Tarifstrukturen wie Luftfahrt, Pflegeeinrichtungen, Logistik oder der Onlinehandel, in denen sich Arbeitgeberverbände neu strukturieren oder Gewerkschaften mehrfach Tarifwerke schließen.
Tarifliche Bezugnahmeklauseln und die Folgen für die Vergütungssystematik
Im Kern ging es um die Auslegung einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel aus den 1980er-Jahren, die auf die jeweils gültigen Tarifverträge für das Bordpersonal verwies. Das BAG stellte klar, dass dynamische Bezugnahmeregelungen ihre zeitliche Dynamik verlieren können, wenn Arbeitgeber in verschiedenen Verbänden Mitglied werden und dadurch mehrere, inhaltlich voneinander abweichende Tarifwerke parallel gelten. Fehlt es an einer klaren Kollisionsregelung, bleibt es bei der letzten gültigen einheitlichen tariflichen Regelung, die dann statisch wirkt. Damit entfällt die Möglichkeit, automatisch auf jeweils neu geschlossene Tarifverträge anderer Verbände Bezug zu nehmen.
Besondere Bedeutung hat dies für die Berechnung von Übergangs- und Versorgungsansprüchen. Während Arbeitnehmerinnen in vergleichbarer Lage davon ausgegangen waren, an den späteren Vergütungsentwicklungen beteiligt zu sein, entschied das BAG, dass sich ihre Ansprüche auf die statisch letzten Tarifstufen der gemeinsam mit beiden Gewerkschaften abgeschlossenen Verträge beschränken. Auch Argumente wie betriebliche Übung, Gleichbehandlungsgrundsatz oder ein möglicher Verstoß gegen das Maßregelungsverbot konnten das Gericht nicht überzeugen, da eine vorübergehende Praxis des Arbeitgebers ohne klare Anspruchsgrundlage keine Rechte für die Zukunft begründet.
Konsequenzen für Arbeitgeber und unterschiedliche Branchen
Die Entscheidung ist nicht nur für Luftfahrtunternehmen bedeutsam, sondern auch für andere Branchen, in denen Arbeitgeber Mitglied in verschiedenen Verbänden sind oder Tarifpluralität besteht. Kleine und mittelständische Unternehmen im Pflegebereich, IT-Dienstleister, Hersteller mit Tarifbindung oder Onlinehändler mit stark wechselnden Personalstrukturen müssen ihre Arbeitsverträge sorgfältig prüfen. Besonders wichtig ist, wie Bezugnahmeklauseln formuliert sind. Eine dynamische Bezugnahme auf „jeweils gültige Tarifverträge“ kann dann statisch werden, wenn keine eindeutige Zuordnung der jeweils gültigen Tarifparteien mehr möglich ist. Unternehmen riskieren sonst teure Fehlkalkulationen, wenn Arbeitnehmer rückwirkend höhere Vergütungen oder Übergangsleistungen einklagen.
Für Steuerberatende und Finanzabteilungen bedeutet das Urteil, dass Berechnungsgrundlagen von Versorgungszusagen oder Übergangsleistungen genau dokumentiert und auf ihre rechtliche Aktualität überprüft werden müssen. Für die Praxis von kleinen und mittelständischen Unternehmen, die zunehmend auf digitale Prozesse setzen, empfiehlt sich eine zentrale Verwaltung von Arbeitsverträgen mit klarer Vertragslogik, damit spätere Widersprüche vermieden werden. Zudem sollten Pflegeeinrichtungen oder Handelsbetriebe mit branchenspezifischen Tarifverträgen die Risiken falscher Annahmen über Tarifdynamik kennen, da dies erhebliche finanzielle Rückstellungen nach sich ziehen kann.
Relevanz für Vertragsgestaltung und betriebliche Planung
Das BAG-Urteil verdeutlicht, dass sorgfältige Vertragsgestaltung die Grundlage für Planungssicherheit im Personal- und Finanzwesen bildet. Arbeitgeber sollten Bezugnahmeklauseln an heutige rechtliche Standards anpassen und eindeutige Verweise auf konkret geltende Tarifparteien einarbeiten. Bei bestehenden Verträgen lohnt sich eine Überprüfung, ob durch Tarifpluralität ein statischer Zustand eingetreten ist. Im Ergebnis stellt das BAG klar, dass Arbeitnehmer nicht automatisch in den Genuss später abgeschlossener Tarifverträge kommen, sofern die Bezugnahmeklausel keine eindeutige Anbindung mehr zulässt. Für Unternehmen bedeutet dies, dass die zuvor kalkulierten Verpflichtungen im Bereich Übergangs- oder Altersversorgung stabil und verlässlich bleiben.
Fazit: Planungssicherheit durch klare Vertragsstrukturen
Die Entscheidung bringt Rechtssicherheit, schafft aber auch Handlungsbedarf für Unternehmen, die alte Bezugnahmeklauseln einsetzen. Insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen, vom Pflegeheim bis zum Onlinehändler, sollten prüfen, ob ihre Vertragswerke rechtlich sauber abgegrenzt sind. Klare vertragliche Regelungen sorgen dafür, dass spätere Auseinandersetzungen mit Beschäftigten vermieden werden und Vergütungs- oder Versorgungsansprüche transparent kalkulierbar bleiben. Unsere Kanzlei unterstützt Unternehmen nicht nur juristisch bei der Vertragsgestaltung, sondern begleitet auch die Prozessoptimierung in der Buchhaltung und die Digitalisierung von Verwaltungsabläufen. So sichern wir kleinen und mittelständischen Unternehmen spürbare Kostenersparnisse und langfristige Planungssicherheit.
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