Gleichbehandlung befristet Beschäftigter im Lichte aktueller Rechtsprechung
Mit einer Entscheidung vom 13. November 2025 hat das Bundesarbeitsgericht (Az. 6 AZR 131/25) klargestellt, dass tarifliche Normen, die befristet beschäftigte Arbeitnehmer im Vergleich zu unbefristet Beschäftigten benachteiligen, gegen das Diskriminierungsverbot des § 4 Absatz 2 Teilzeit- und Befristungsgesetz verstoßen und deshalb nach § 134 Bürgerliches Gesetzbuch nichtig sind. Der klagende Zusteller war zunächst befristet und später dauerhaft angestellt. Für ihn galten aufgrund eines Haustarifvertrags verlängerte Stufenlaufzeiten, die von der Dauer der bisherigen Betriebszugehörigkeit abhängig waren. Die Tarifparteien hatten im Rahmen einer Unternehmensreorganisation festgelegt, dass diese Laufzeiten für Arbeitnehmer, deren Verträge nach dem 30. Juni 2019 begannen, verlängert würden. Auch Wiedereingestellte mit zuvor befristeten Arbeitsverhältnissen waren davon betroffen. Das Gericht sah darin eine unzulässige Ungleichbehandlung befristet Beschäftigter.
Das Diskriminierungsverbot des § 4 Absatz 2 Teilzeit- und Befristungsgesetz gewährleistet, dass Arbeitnehmer mit befristeten Verträgen hinsichtlich ihrer Arbeitsbedingungen, insbesondere der Vergütung, nicht schlechter behandelt werden dürfen als vergleichbare unbefristet Beschäftigte, es sei denn, sachliche Gründe rechtfertigen eine unterschiedliche Behandlung. Eine Abweichung davon ohne überzeugende betriebliche oder sachlich-prozessuale Notwendigkeit führt zu einem Anspruch der Betroffenen auf Gleichbehandlung, was die Arbeitgeber verpflichtet, sie so zu stellen, als wäre eine unzulässige Regelung nie getroffen worden.
Unionsrechtliche Vorgaben und deren Bedeutung für Tarifverträge
Der entscheidende Aspekt dieser Rechtsprechung liegt in der unionsrechtlichen Überformung nationaler Diskriminierungsverbote. Das Teilzeit- und Befristungsgesetz setzt europäische Richtlinien zum Schutz befristet Beschäftigter um. Diese europäischen Regelungen haben Vorrang, wenn innerstaatliche Vorschriften oder Tarifbestimmungen hiervon abweichen. Daraus folgt, dass die Tarifvertragsparteien nicht primär die Möglichkeit erhalten, diskriminierende Regelungen selbst zu korrigieren, bevor Gerichte einschreiten. Das Bundesarbeitsgericht betont die unmittelbare Durchsetzung der Rechte der betroffenen Arbeitnehmer, ohne auf tarifpolitische Eigenkorrekturen zu warten. Für Unternehmen bedeutet das, dass tarifliche Vereinbarungen, die auf aktuelle Betriebsstrukturen zugeschnitten sind, einer besonders sorgfältigen Überprüfung auf unionsrechtliche Konformität bedürfen.
Im Unterschied zu nationalen Gleichbehandlungsgrundsätzen, wie sie sich aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes ergeben, entfalten unionsrechtlich begründete Diskriminierungsverbote eine unmittelbare Abschreckungswirkung. Sie sollen sicherstellen, dass Arbeitgeber von vornherein keine diskriminierenden Regelungen anwenden. Deshalb ist es den nationalen Gerichten nicht erlaubt, Tarifparteien Zeit oder Gelegenheit zur Nachbesserung einzuräumen, wenn ein Verstoß bereits vorliegt. Dies unterstreicht den präventiven Charakter des Diskriminierungsschutzes und verdeutlicht, dass Arbeitgeber bei der Gestaltung ihrer Entgeltstrukturen und tariflichen Stufenmodelle auf unionsrechtliche Vorgaben achten müssen.
Praktische Auswirkungen für Arbeitgeber und Personalabteilungen
Für Unternehmen, insbesondere solche mit eigenständigen Haustarifverträgen, ist diese Entscheidung von erheblicher praktischer Bedeutung. Sie verpflichtet dazu, bei jeder Änderung von Vergütungsstufen, Bonusregeln oder Laufzeitmodellen eine detaillierte Gleichbehandlungsprüfung vorzunehmen. Ein zentrales Risiko besteht darin, dass interne Differenzierungen zwischen neu und bereits länger Beschäftigten unzulässig sein können, wenn sie befristet Beschäftigte unverhältnismäßig benachteiligen. Vor allem in Branchen wie Logistik, Pflege oder Einzelhandel, in denen vielfach mit Befristungen gearbeitet wird, ist eine genaue juristische Prüfung unabdingbar, um finanzielle Nachforderungen und strukturelle Anpassungskosten zu vermeiden.
Wirtschaftlich kann eine fehlerhafte Gestaltung dieser Regelungen erhebliche Folgen haben. Sobald ein Gericht eine tarifliche Norm oder eine Betriebsvereinbarung aufgrund von Diskriminierung für unwirksam erklärt, entsteht für den Arbeitgeber die Verpflichtung, sämtliche benachteiligten Arbeitnehmer rückwirkend gleichzustellen. Das kann zu Nachzahlungen führen, die aufgrund tariflicher Ketteneffekte ein beträchtliches Volumen erreichen. Personalverantwortliche sollten daher eng mit ihren Rechts- und Steuerberatenden zusammenarbeiten, wenn Reorganisationsmaßnahmen oder Tarifänderungen geplant sind. Besonders kritisch sind Übergangsregelungen und Stichtagsregelungen, die häufig zur Diskriminierung führen, weil sie den Status eines Arbeitsverhältnisses zum Stichtag unzulässig bewerten.
Fazit: Rechtssicherheit und Digitalisierung als Zukunftsaufgabe
Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts betont die Wichtigkeit rechtssicherer tariflicher Gestaltung unter Beachtung von Unionsrecht. Sie zeigt zugleich, dass Gerichte klare Grenzen zwischen tarifpolitischer Autonomie und europarechtlicher Verpflichtung ziehen. Für Arbeitgeber bedeutet dies, betriebliche und tarifliche Regelungen rechtzeitig kritisch zu analysieren, um Risiken der Ungleichbehandlung zu vermeiden. Die zunehmende Komplexität arbeits- und unionsrechtlicher Vorschriften verlangt eine datenbasierte, transparente Personal- und Vergütungsstruktur. Digitale Tools können hierbei helfen, Personalprozesse effizient und auditfest zu gestalten. Unsere Kanzlei unterstützt kleine und mittelständische Unternehmen bei der Optimierung ihrer Buchhaltungs- und Verwaltungsprozesse, mit besonderem Fokus auf Digitalisierung und Automatisierung, um Rechtssicherheit mit nachhaltiger Kostenreduktion zu verbinden.
Gerichtsentscheidung lesen