Gleiche Rechte für Teilzeitbeschäftigte bei Mehrarbeitszuschlägen
Das Bundesarbeitsgericht hat mit dem Urteil vom 26. November 2025 (Az. 5 AZR 118/23) eine richtungsweisende Entscheidung getroffen, die insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen mit tarifgebundenen Beschäftigungsverhältnissen von großer Bedeutung ist. Es ging um die Frage, ob tarifvertragliche Regeln, die Mehrarbeitszuschläge erst ab einer bestimmten Wochenstundenzahl gewähren, Teilzeitbeschäftigte unzulässig benachteiligen. Der Fall betraf eine Regelung im Manteltarifvertrag des bayerischen Groß- und Außenhandels, die Zuschläge erst ab der 41. Arbeitsstunde vorsah, unabhängig davon, ob die oder der Beschäftigte in Vollzeit oder Teilzeit arbeitet. Das Gericht stellte klar, dass eine solche Regel gegen das Diskriminierungsverbot aus § 4 Absatz 1 Teilzeit- und Befristungsgesetz verstößt. Danach dürfen Teilzeitbeschäftigte nicht schlechter behandelt werden als Vollzeitkräfte, es sei denn, sachliche Gründe rechtfertigen dies.
Der sogenannte Pro-rata-temporis-Grundsatz verpflichtet Arbeitgeber und Tarifparteien, Leistungen verhältnismäßig zur individuellen Arbeitszeit zu gewähren. Teilzeitkräfte haben daher Anspruch auf Zuschläge, sobald sie ihre vereinbarte Arbeitszeit im Verhältnis zur Vollzeitgrenze überschreiten. Eine pauschale Festlegung der Zuschlagsgrenze ab der 41. Stunde benachteiligt sie, da sie regelmäßig schon wesentlich früher Mehrarbeit im Sinne des Gesetzes leisten.
Unionsrechtliche Vorgaben und ihre Auswirkungen
Das Gericht hat in seiner Entscheidung ausdrücklich betont, dass § 4 Absatz 1 Teilzeit- und Befristungsgesetz unionsrechtskonform auszulegen ist. Besonders die Vorgaben des Gerichtshofs der Europäischen Union verlangen, dass objektive Gründe vorliegen müssen, wenn Teilzeitkräfte gegenüber Vollzeitbeschäftigten benachteiligt werden. Dabei reicht eine bloße Berufung auf organisatorische oder gesundheitliche Erwägungen nicht aus. Das Bundesarbeitsgericht stellte klar, dass der Gesundheitsschutz kein ausreichender sachlicher Grund sei, um Teilzeitbeschäftigte bei der Gewährung von Mehrarbeitszuschlägen schlechterzustellen. Schließlich entstehen auch für sie Belastungen durch zusätzliche Arbeitsstunden, selbst wenn deren Zahl absolut geringer ist als bei Vollzeitkräften.
Die Entscheidung ist von Bedeutung, weil sie die Tarifautonomie der Sozialpartner in einem zentralen Punkt begrenzt. Zwar sollen Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften innerhalb ihrer Tarifverträge Gestaltungsfreiheit genießen, doch endet diese, wo zwingendes Gleichbehandlungsrecht verletzt wird. Ein tariflicher Automatismus zugunsten bestimmter Beschäftigtengruppen wird durch solche Entscheidungen auf seine Vereinbarkeit mit europarechtlichen Diskriminierungsverboten überprüft. Dies gilt nicht nur für große Industriebetriebe, sondern auch für Handwerks- und Dienstleistungsunternehmen, die Tarifverträge anwenden oder sich an ihnen orientieren.
Praktische Konsequenzen für Unternehmen
Die Entscheidung hat weitreichende Folgen für die Praxis. Arbeitgeber sind gehalten, bestehende tarifliche und betriebliche Regelungen sorgfältig zu prüfen. Wird Mehrarbeit von Teilzeitkräften geleistet, muss die Zuschlagsgrenze proportional zur vereinbarten Arbeitszeit reduziert werden. Eine Teilzeitkraft mit einer Wochenarbeitszeit von etwa 30 Stunden in einem Betrieb, in dem Vollzeit 37,5 Stunden umfasst, erreicht diese Grenze bereits nach etwa 33 Stunden. Unternehmen, die sich daran nicht halten, riskieren Nachforderungen von Zuschlägen und mögliche Diskriminierungsklagen. Besonders relevant ist dies für Branchen mit hoher Teilzeitquote, wie das Gesundheitswesen, den Einzelhandel oder Pflegeeinrichtungen. Hier sind Zuschlagsfragen häufig Gegenstand tariflicher Regelungen, die nun im Lichte dieser Entscheidung überprüft werden müssen.
Auch Personalabteilungen müssen für Klarheit sorgen, welche Definition von Mehrarbeit nach Tarif oder Arbeitsvertrag gilt. Während Mehrarbeit bei Vollzeitbeschäftigten meist erst über die tarifliche Regelarbeitszeit hinaus entsteht, beginnt sie bei Teilzeitbeschäftigten proportional früher. Unternehmen sollten daher in ihren Lohn- und Gehaltsabrechnungssystemen anpassbare Mechanismen implementieren, um Zuschlagsgrenzen korrekt zu ermitteln. Durch digitale Zeiterfassung können diese Anteile präzise dokumentiert werden, was nicht nur rechtssicher, sondern auch revisionssicher ist. Eine transparente Dokumentation ist entscheidend, um Haftungsrisiken und Nachzahlungsansprüche zu vermeiden.
Fazit: Gleichbehandlung als Pflicht und Chance
Das Urteil stärkt die Rechte von Teilzeitbeschäftigten und verpflichtet Unternehmen zu einer diskriminierungsfreien Gestaltung ihrer Vergütungsstrukturen. Auch wenn dies zunächst Anpassungsaufwand erfordert, bietet es langfristig die Chance, faire und motivierende Arbeitsbedingungen zu schaffen. Eine gerechte Behandlung von Teilzeitkräften kann zudem einen positiven Einfluss auf Mitarbeiterbindung und Arbeitgeberattraktivität haben, was angesichts des Fachkräftemangels ein entscheidender Wettbewerbsfaktor ist.
Für Unternehmen, insbesondere kleine und mittelständische Betriebe, empfiehlt es sich, ihre Arbeitszeit- und Entgeltregelungen rechtlich überprüfen und technisch optimieren zu lassen. Unsere Kanzlei begleitet Mandanten bei der digitalen Neugestaltung ihrer Buchhaltungs- und Entgeltprozesse. Durch die Kombination aus rechtlicher Expertise und digitaler Prozessoptimierung unterstützen wir Unternehmen jeder Größe dabei, ihre Abläufe rechtskonform, effizient und kostensparend zu gestalten.
Gerichtsentscheidung lesen