Die Frage, wann ein Unternehmen im Ausland eine Betriebsstätte im Sinne eines Doppelbesteuerungsabkommens begründet, ist für viele Unternehmerinnen und Unternehmer von erheblicher Bedeutung. Dies gilt nicht nur für international tätige Konzerne, sondern gerade auch für kleine und mittlere Unternehmen, zu denen Taxiunternehmen, Pflegeeinrichtungen, Onlinehändler oder spezialisierte Dienstleister gehören können. Der Bundesfinanzhof hat hierzu in zwei Urteilen vom 18. Dezember 2024 (I R 47/21 und I R 39/21) entscheidende Klarstellungen getroffen. Im Mittelpunkt stand die Steuerfreistellung von Einkünften, die über eine ausländische Betriebsstätte erzielt werden, und die Abgrenzung, unter welchen Voraussetzungen eine solche Betriebsstätte steuerlich anzuerkennen ist.
Hintergründe zur Betriebsstättenbesteuerung und Abkommensrecht
Nach Doppelbesteuerungsabkommen, die Deutschland mit zahlreichen Staaten abgeschlossen hat, können Gewinne, die einer ausländischen Betriebsstätte zuzurechnen sind, regelmäßig im Inland steuerfrei gestellt werden, unterliegen aber dem sogenannten Progressionsvorbehalt. Das bedeutet, dass diese Einkünfte zwar nicht in Deutschland besteuert, jedoch bei der Ermittlung des Steuersatzes für andere inländische Einkünfte berücksichtigt werden. Die Betriebsstätte ist in diesem Kontext ein fester Geschäftsraum, über den das Unternehmen in gewisser Dauerhaftigkeit verfügt und in dem es seine wesentlichen unternehmerischen Tätigkeiten ausübt.
Im Verfahren I R 47/21 wurde die Tätigkeit eines Taxiunternehmers geprüft, der Mitglied einer Schweizer Taxifunkzentrale war und dort einen Büroraum mitnutzen konnte. Er verfügte dabei über einen verschließbaren Standcontainer und nutzte die Räumlichkeiten für zentrale Unternehmensfunktionen wie Buchführungsvorbereitung, Personalverwaltung und Kontrolle von Auflagen. Der BFH sah hierin eine ausreichende Verwurzelung des Unternehmens mit dem ausländischen Ort, sodass eine Betriebsstätte im abkommensrechtlichen Sinne gegeben war. Interessant ist, dass der BFH betonte, dass die Verwurzelung sich aus einer Gesamtschau ergibt, bei der sowohl die Dauerhaftigkeit der Verfügungsmacht über den Geschäftsraum als auch die tatsächliche Intensität der Nutzung zu berücksichtigen sind.
Im parallelen Verfahren I R 39/21 stellte der BFH klar, dass sowohl die Nutzung der Geschäftseinrichtung als auch das Innehaben derselben eine gewisse zeitliche Dauer von mindestens sechs Monaten voraussetzen. Damit verdeutlichte der Gerichtshof, dass kurzfristige Engagements im Ausland steuerlich nicht genügen, um eine Betriebsstätte zu begründen, selbst wenn dort die gesamte Tätigkeit entfaltet wird. Diese Konkretisierung schafft insbesondere für neu gegründete Unternehmen oder projektbezogene Auslandsaktivitäten mehr Rechtssicherheit.
Rechtliche Einordnung und Begründungsansätze
Die Entscheidungen zeigen eindrücklich, auf welchen Grundlagen die Finanzgerichte und der BFH die Entstehung einer Betriebsstätte beurteilen. Dabei stützt sich der Gerichtshof auf eine Abwägung verschiedener Merkmale, die wesentlich auf die in Doppelbesteuerungsabkommen verankerte Definition der Betriebsstätte zurückzuführen sind. Diese Definition verlangt einen festen Geschäftsort, eine dauerhafte Verfügungsmacht sowie die Ausübung substantieller unternehmerischer Tätigkeiten an diesem Ort.
- Der Aspekt der Festigkeit verlangt, dass die Einrichtung nicht nur sporadisch nutzbar ist, sondern eine gewisse physische und organisatorische Beständigkeit aufweist.
- Die dauerhafte Verfügungsmacht bedeutet, dass das Unternehmen wie über eigene Räumlichkeiten verfügen kann, sei es durch exklusive oder zumindest gesicherte Nutzungsmöglichkeiten.
- Die unternehmerisch-substantielle Tätigkeit muss über reine Hilfsaufgaben hinausgehen und darf sich nicht nur auf vorbereitende Tätigkeiten beschränken.
Im Verfahren I R 47/21 war entscheidend, dass der Taxiunternehmer mit seinen Verwaltungs- und Leitungstätigkeiten mehr als nur einfache Bürotätigkeiten durchführte. Gerade wenn mehrere Mitarbeiter beschäftigt werden, gewinnen Aufgaben wie Buchführung, Rechnungswesen oder Personaladministration überwiegende Bedeutung. Damit wird deutlich, dass die Haupttätigkeit eines Taxiunternehmens nicht ausschließlich in der Personenbeförderung besteht, sondern auch in organisatorischen Kernfunktionen, die hier im Ausland ausgeübt wurden.
Im Verfahren I R 39/21 begründete der BFH die zeitliche Mindestanforderung von sechs Monaten ebenfalls anhand einer systematischen Auslegung. Ziel dieser Vorgabe ist es, Missbrauch durch kurzfristige Projektstrukturen zu verhindern und stattdessen eine klare Linie zwischen steuerlich relevanten Betriebsstätten und lediglich vorübergehender Auslandstätigkeit zu ziehen.
Relevanz für Unternehmer, Heilberufe und Onlinehandel
Für Unternehmerinnen und Unternehmer aus kleinen und mittleren Unternehmen, aber auch für Spezialbranchen wie Pflegeeinrichtungen oder Krankenhäuser, ist die Abgrenzung einer Betriebsstätte im Ausland von hoher Praxisrelevanz. Wer beispielsweise Management- und Verwaltungsaufgaben in einer ausländischen Einrichtung wahrnimmt, muss sorgfältig prüfen, ob die Kriterien einer Betriebsstätte erfüllt sind. Gerade bei der Entsendung von Personal in angrenzende Länder oder beim Aufbau von Tochtergesellschaften besteht die Gefahr, dass übersehen wird, wie stark die steuerlichen Konsequenzen von der Betriebsstättenqualifikation abhängen.
Für Onlinehändler, die ihren Kundendienst oder Teile der Buchhaltung im Ausland bündeln, kann die Entscheidung ebenfalls weitreichend sein. Sobald die Aktivitäten mehr als vorbereitende Tätigkeiten darstellen, könnte eine Betriebsstätte begründet sein, was zur Steuerfreistellung in Deutschland und damit zur ausschließlichen Besteuerung im Ausland führt. Pflegeeinrichtungen oder Krankenhäuser, die Kooperationen mit ausländischen Partnern pflegen, müssen ebenso abwägen, welche Tätigkeiten dort tatsächlich ausgeübt werden und wie lange diese Einrichtungen genutzt werden. Wird die Sechs-Monats-Grenze überschritten, spricht vieles für das Vorliegen einer Betriebsstätte mit allen steuerrechtlichen Folgen.
Auch kleinere Unternehmen wie Taxiunternehmen oder spezialisierte Dienstleistungsbetriebe erhalten durch die BFH-Auslegung Rechtssicherheit. Sie können nun klarer einschätzen, ob etwa ein gemieteter Büroraum im Ausland lediglich Hilfscharakter hat oder ob er die Schwelle zur Betriebsstätte überschreitet. Handelsunternehmen, die eine ausländische Geschäftseinrichtung dauerhaft und erheblich nutzen, sollten die steuerrechtlichen Vorgaben zwingend in ihre Planungen integrieren.
Schlussfolgerungen für internationale Geschäftstätigkeit
Die beiden Urteile des Bundesfinanzhofs verdeutlichen, dass zwei wesentliche Kriterien erfüllt sein müssen: eine dauerhafte Verfügungsmacht über eine feste Geschäftseinrichtung und die Ausübung substanzieller geschäftlicher Tätigkeiten über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten. Damit setzt der BFH auf eine klare Linie, die Rechtssicherheit schafft, aber auch Pflichten für Unternehmen mit sich bringt. Wer internationale Geschäftsaktivitäten plant oder bereits durchführt, sollte diese Entscheidung berücksichtigen, um steuerliche Risiken und unerwartete Doppelbesteuerung zu vermeiden.
Unsere Kanzlei begleitet kleine und mittelständische Unternehmen in allen Fragen des internationalen Steuerrechts und hat sich insbesondere auf die Digitalisierung und Prozessoptimierung in der Buchhaltung spezialisiert. Mandanten aus unterschiedlichen Branchen profitieren dabei von erheblichen Kostenersparnissen und einer effizienten Strukturierung ihrer steuerlichen Prozesse, sei es im kleinen, mittleren oder hochspezialisierten Unternehmensumfeld.
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