Geltungsbereich des Sozialkassenverfahrens und Hintergrund der Entscheidung
In der jüngsten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts mit dem Aktenzeichen 10 AZR 170/24 vom 27. August 2025 hat der Zehnte Senat klargestellt, dass Betriebe, die überwiegend Eisenschutzarbeiten an Teilen von Stahlbauten ausführen, unter den betrieblichen Geltungsbereich des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) fallen. Die Entscheidung betrifft damit besonders kleine und mittelständische Betriebe aus dem industriellen Korrosionsschutz, den Metallbau und die Oberflächenbeschichtung, die häufig mit Baukomponenten aus Stahl arbeiten. Das Gericht hatte zu entscheiden, ob ein Unternehmen, das Bauteile wie Brückenträger, Geländer und Ventilatoren industriell beschichtet, verpflichtet ist, Beiträge an die Sozialkassen der Bauwirtschaft zu entrichten.
Im Fokus stand die Abgrenzung zwischen industrieller Fertigung und baulicher Tätigkeit. Nach § 1 Absatz 2 Abschnitt IV Nummer 2 des VTV zählen Bauten- und Eisenschutzarbeiten zu den Tätigkeiten, die zwingend vom Sozialkassenverfahren der Bauwirtschaft erfasst werden. Streit bestand darüber, ob diese Tätigkeiten auch dann als baugewerblich gelten, wenn die Bearbeitung nicht direkt auf der Baustelle, sondern auf einem Betriebsgelände erfolgt. Das Bundesarbeitsgericht hat diesen Zusammenhang bejaht.
Auslegung der tariflichen Regelung und Begründung der Entscheidung
Das Gericht hat in seiner Begründung eine umfassende Auslegung des VTV vorgenommen. Maßgeblich ist, dass es sich bei den ausgeführten Tätigkeiten um Eisenschutzarbeiten handelt, also um Maßnahmen, die dem Schutz von eisenhaltigen Materialien wie Baustahl dienen. Diese Arbeiten können an Bauwerken, aber ebenso an einzelnen Bauteilen von Stahlkonstruktionen erfolgen. Eine räumliche Bindung an Baustellen ist nicht erforderlich. Damit schließt das Gericht an seine bisherige Rechtsprechung an, nach der alle Tätigkeiten, die typischerweise der Instandhaltung oder dem Schutz von Baukomponenten dienen, dem Baugewerbe zugeordnet werden.
Die Entscheidung betont zugleich die Unabhängigkeit vom konkreten Einsatzort: Auch dann, wenn Bauteile in einer Werkhalle gestrahlt, beschichtet oder lackiert werden, können diese Tätigkeiten unter den Geltungsbereich des VTV fallen, sofern sie sich auf Baukomponenten beziehen. Die Richter führen aus, dass der Begriff des Eisenschutzes im tarifrechtlichen Sinn einheitlich auszulegen sei und dass ein kohärentes System der Bauleistungen geschaffen werden solle, das keine künstliche Trennung zwischen Bau- und Werkstatttätigkeit vorsieht.
Von besonderer Bedeutung ist die Feststellung, dass der Wille der Tarifvertragsparteien nicht darauf gerichtet sei, den Sozialkassenbezug auf Baustellentätigkeiten zu beschränken. Dieses Verständnis findet seine Entsprechung auch in den Lohntarifverträgen für das Bauten- und Eisenschutzgewerbe, die ausdrücklich Tätigkeiten an Stahlbauwerken, Brücken, Hallen und Industrieanlagen erfassen. Das Gericht stellte zudem klar, dass nur handwerklich ausgeführte Entrostungsarbeiten, wie sie typischerweise im Maler- und Lackiererhandwerk vorkommen, von den Allgemeinverbindlicherklärungen ausgenommen sind. Industriell geprägte Verfahren, die unter Einsatz von Maschinen standardisierte Oberflächenschutzarbeiten leisten, unterfallen demgegenüber zwingend dem Sozialkassenverfahren.
Diese Einordnung erfolgt unabhängig von der Zahl der Beschäftigten oder der Höhe des Umsatzes, da die Tarifbindung im Wesen der Tätigkeit begründet ist. Selbst kleine Unternehmen, die einen hohen Automatisierungsgrad in der Beschichtungstechnik aufweisen, können damit beitragspflichtig werden, wenn die Arbeiten einen baubezogenen Zweck erfüllen.
Relevanz für kleine und mittelständische Betriebe im Bau- und Metallsektor
Die Entscheidung hat erhebliche praktische Bedeutung für Unternehmen, die im Grenzbereich zwischen industrieller Fertigung und Baugewerbe tätig sind. Dazu gehören insbesondere Metallbauunternehmen, Oberflächenveredler, Korrosionsschutzbetriebe und Dienstleister aus der Instandhaltung von Brücken, Hallen oder industriellen Anlagen. Sobald ihre Leistungen überwiegend auf Bauteile gerichtet sind, die Bestandteil von Bauwerken oder vergleichbaren Konstruktionen sind, besteht die Verpflichtung zur Zahlung von Sozialkassenbeiträgen – unabhängig davon, ob die Arbeiten auf der Baustelle oder im Werk durchgeführt werden.
Viele mittelständische Betriebe unterschätzen die Reichweite der Allgemeinverbindlicherklärungen. Die Entscheidung macht deutlich, dass auch solche Betriebe, die nicht tarifgebunden sind, kraft der Allgemeinverbindlichkeit des VTV beitragspflichtig werden können. Für Handwerksbetriebe im Maler- und Lackiererbereich greift hingegen weiterhin die Ausnahme, sofern sie handwerklich geprägte Arbeiten verrichten. Entscheidend bleibt die Gesamttätigkeit des Betriebs im maßgeblichen Kalenderjahr, also der arbeitszeitlich überwiegende Charakter der Beschäftigung.
Gerade für Unternehmen in strukturierten Produktionsabläufen empfiehlt sich eine sorgfältige Prüfung, ob der Schwerpunkt auf industrieller Herstellung oder auf einer baubezogenen Werkleistung liegt. Diese Unterscheidung wirkt sich unmittelbar auf die Personal- und Kostenplanung aus. Fehlende Beitragszahlungen können zu erheblichen Nachforderungen der Sozialkassen führen, die oft mehrere Jahre rückwirkend geltend gemacht werden. Für Onlinehändler oder Zulieferer von Baukomponenten ergibt sich ebenfalls Handlungsbedarf, sofern sie Oberflächenarbeiten mit baubezogenem Zweck anbieten. Eine betriebliche Dokumentation der Tätigkeiten und eine rechtliche Prüfung durch arbeitsrechtlich erfahrene Berater sind daher ratsam.
Schlussfolgerung und rechtliche Einordnung
Mit dieser Entscheidung unterstreicht das Bundesarbeitsgericht einmal mehr, dass der Begriff der Bauleistung weit auszulegen ist. Der Wille der Tarifvertragsparteien, ein geschlossenes Beitragssystem im Baugewerbe zu schaffen, lässt keine engen Ausnahmen für betriebstechnische Besonderheiten zu. Entscheidend ist die Funktion der Arbeit im Hinblick auf den Schutz oder die Erhaltung von Stahlbauwerken. Für betroffene Unternehmen bedeutet dies, dass sie ihre Tätigkeiten und Auftragsstrukturen kritisch auf mögliche Beitragspflichten nach dem Sozialkassenrecht prüfen sollten. Eine Befreiung von der Beitragspflicht setzt voraus, dass die Tätigkeit eindeutig außerhalb der tariflichen Definition des Baugewerbes liegt.
Für Unternehmerinnen und Unternehmer in der Bauzulieferung, im Metallbau und in der Oberflächenbehandlung entsteht daraus die Notwendigkeit einer klaren internen Abgrenzung und gegebenenfalls einer Anpassung der Vertragsgestaltung. Als Kanzlei, die auf Digitalisierung und Prozessoptimierung in der Buchhaltung spezialisiert ist, unterstützen wir kleine und mittelständische Unternehmen bei der effizienten Verwaltung solcher Verpflichtungen und der Implementierung digitaler Systeme zur sicheren Abwicklung von Personal- und Abgabenprozessen – mit dem Ergebnis spürbarer Kostenersparnisse und höherer Transparenz im Betriebsalltag.
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