Wenn Arbeitnehmerinnen in saisonalen Teilzeitmodellen beschäftigt sind, kann die Ermittlung des Mutterschutzlohns und des Zuschusses zum Mutterschaftsgeld zur juristischen Herausforderung werden. Das jüngste Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 9. September 2025 (Az. 5 AZR 286/24) verdeutlicht, dass die bisherige Praxis vieler Unternehmen, schlicht den gesetzlichen Dreimonatszeitraum zur Berechnung zugrunde zu legen, nicht immer sachgerecht ist. Besonders kleine und mittelständische Betriebe, darunter Pflegeeinrichtungen oder Dienstleistungsunternehmen mit saisonalen Schwankungen, sollten die Entscheidung aufmerksam studieren, da sie direkte Auswirkungen auf ihre Personal- und Lohnabrechnungspraxis entfalten kann.
Mutterschutzlohn nach saisonalem Teilzeitmodell – rechtlicher Rahmen
In dem entschiedenen Fall stritten eine Flugbegleiterin und ihr Arbeitgeber über die korrekte Berechnung des Mutterschutzlohns nach § 18 Mutterschutzgesetz (MuSchG) und des Zuschusses zum Mutterschaftsgeld nach § 20 Mutterschutzgesetz. Die Arbeitnehmerin war in einem sogenannten Jahresarbeitszeitmodell beschäftigt, bei dem die tatsächliche Arbeitszeit saisonal schwankte, die Vergütung jedoch verstetigt ausgezahlt wurde. Während der Wintermonate erhielt sie zudem eine tariflich geregelte Winterzulage, die bei der Ermittlung des Durchschnittsverdiensts eine wichtige Rolle spielte. Aufgrund einer Schwangerschaft und des anschließenden Beschäftigungsverbots stellte sich die Frage, auf welchen Referenzzeitraum der Arbeitgeber bei der Berechnung des Mutterschutzlohns abstellen musste. Die juristische Kernfrage lautete, ob der gesetzliche Dreimonatszeitraum nach § 18 Satz 2 Mutterschutzgesetz angemessen war oder ob ein längerer Zeitraum gewählt werden musste, um ein realistisches Einkommensbild zu gewinnen.
Das Mutterschutzgesetz bezweckt, Arbeitnehmerinnen während der Schutzfristen wirtschaftlich so zu stellen, als würden sie weiterarbeiten. Entsprechend ist der Mutterschutzlohn als durchschnittliches Arbeitsentgelt der letzten drei abgerechneten Monate vor Eintritt der Schwangerschaft zu zahlen. Allerdings hat die Rechtsprechung anerkannt, dass dieser Zeitraum bei außergewöhnlichen Einkommensschwankungen zu kurz bemessen sein kann, um den tatsächlichen Durchschnittsverdienst korrekt widerzuspiegeln.
Erweiterung des Referenzzeitraums – Auslegung und Bedeutung der BAG-Entscheidung
Das BAG bestätigte seine bisherige Linie, nach der eine abweichende Bemessung des Referenzzeitraums erforderlich sein kann, wenn ein dreimonatiger Zeitraum aufgrund erheblicher Schwankungen nicht geeignet ist, den üblichen Verdienst realistisch abzubilden. Im vorliegenden Fall kam hinzu, dass die Klägerin über einen längeren Zeitraum in Kurzarbeit gewesen war. Das Gericht legte daher großen Wert auf die Frage, ob und in welchem Umfang die Einkommenseinbußen durch Kurzarbeit bei der Berechnung des Durchschnittslohns unberücksichtigt zu bleiben haben. Nach § 21 Mutterschutzgesetz darf der Arbeitgeber solche Kürzungen nicht einfließen lassen. Entscheidend ist der hypothetische Verdienst, den die Arbeitnehmerin ohne Kurzarbeit erzielt hätte. Die Winterzulage, die regelmäßig für einzelne Monate gezahlt wird, musste ebenfalls berücksichtigt werden, da es sich nicht um eine einmalige, sondern eine wiederkehrende Zahlung handelt.
Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass der gesetzliche Dreimonatszeitraum in solchen Fällen nicht schematisch angewendet werden darf. Er ist vielmehr an den individuellen Gegebenheiten des Arbeitsverhältnisses zu messen. Weichen die monatlichen Vergütungen erheblich voneinander ab, lässt sich der wirtschaftliche Durchschnittsverdienst realistischer über einen längeren Bezugszeitraum abbilden. Das Bundesarbeitsgericht verwies die Sache an die Vorinstanz zurück, um festzustellen, ob für die Klägerin tatsächlich ein zwölfmonatiger Referenzzeitraum anzuwenden war. Damit konkretisierte das Gericht seine bereits in früheren Entscheidungen angedeutete Auslegung des § 18 Mutterschutzgesetz und passte sie an die Besonderheiten von Jahresarbeitszeitmodellen an – eine Konstellation, die in saisonabhängigen Branchen wie Hotellerie, Landwirtschaft, Flugverkehr, aber auch im Onlinehandel mit schwankenden Auftragsspitzen zunehmend häufig vorkommt.
Relevanz für Arbeitgeber und Lohnbuchhaltung
Für Unternehmer, Steuerberatende und Finanzverantwortliche bedeutet dieses Urteil vor allem eines: erhöhte Aufmerksamkeit bei der Berechnung von Mutterschutzleistungen. Wer Mitarbeiterinnen in variablen oder schwankenden Entgeltmodellen beschäftigt, muss sorgfältig prüfen, ob ein Dreimonatsdurchschnitt den tatsächlichen durchschnittlichen Verdienst widerspiegelt. Eine pauschale Anwendung kann zu Nachzahlungsrisiken führen. Besonders problematisch ist dies, wenn Kurzarbeitszeiten oder saisonale Spitzen das Einkommen stark verzerren. In solchen Fällen sollte die Finanz- oder Lohnbuchhaltung prüfen, ob eine Durchschnittsbildung über einen längeren Zeitraum sachgerecht ist, um spätere Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden. Kleine Unternehmen und Pflegeeinrichtungen, die häufig flexible Arbeitszeitmodelle einsetzen oder auf saisonale Teilzeitkräfte zurückgreifen, können unmittelbar betroffen sein. Der Verwaltungsaufwand zur korrekten Ermittlung des Mutterschutzlohns steigt damit, zugleich aber auch das Risiko, bei einer Betriebsprüfung oder Klage unzutreffende Berechnungen vorgelegt zu haben.
Arbeitgeber sollten die Entscheidung als Gelegenheit begreifen, ihre internen Prozesse zur Entgeltberechnung zu überprüfen und gegebenenfalls zu digitalisieren. Softwaregestützte Lohnsysteme können dabei helfen, historische Entgeltdaten transparent zu erfassen und Referenzzeiträume automatisiert zu berechnen. Steuerberatende Kanzleien sollten ihre Mandanten insbesondere in Branchen mit unregelmäßigen Einkommensverläufen dafür sensibilisieren, dass der gesetzliche Referenzzeitraum nicht zwingend starr angewendet werden darf. Eine transparente Dokumentation und Berechnungsgrundlage ist daher essenziell, um eventuelle Nachforderungen oder Streitigkeiten vermeiden zu können.
Praxisgerechtes Fazit für Unternehmen
Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts stellt klar, dass der Mutterschutzlohn die wirtschaftliche Realität eines Arbeitsverhältnisses abbilden muss. Je stärker das Entgelt schwankt, desto größer wird die Verantwortung des Arbeitgebers, einen angemessenen Referenzzeitraum zu wählen. Im Ergebnis stärkt das Urteil die Position von Arbeitnehmerinnen im Mutterschutz, verlangt aber zugleich von Arbeitgebern und deren Lohnbuchhaltung eine präzisere Datengrundlage und sorgfältige Prüfung. Mittelständische Unternehmen, die variable Vergütungssysteme oder Jahresarbeitszeitmodelle einsetzen, sollten ihre Abrechnungsprozesse prüfen und automatisieren. Unsere Kanzlei unterstützt Sie hierbei mit praxisnahen Lösungen, die sowohl rechtssicher als auch wirtschaftlich effizient sind. Wir begleiten Unternehmen jeder Größe auf dem Weg zu einer digitalisierten Buchhaltung und helfen, durch strukturierte Prozessoptimierungen erhebliche Kostenvorteile zu realisieren.
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