Die Frage nach der Wirksamkeit von Kündigungen in grenzüberschreitenden Arbeitsverhältnissen sorgt seit Jahren für Unsicherheit bei Unternehmen und Belegschaften. Mit einem aktuellen Urteil hat das Bundesarbeitsgericht (Az. 2 AZR 91/24 (B), Entscheidung vom 18. Juni 2025) wesentliche Leitlinien zur Anwendbarkeit von deutschem und ausländischem Recht, zum Schriftformerfordernis nach § 623 BGB und zu Massenentlassungen klarer gefasst. Das Urteil betrifft nicht nur Großunternehmen mit internationalem Bezug, sondern ist für kleinere Arbeitgeber, etwa Pflegeeinrichtungen, mittelständische Handwerksbetriebe oder auch Onlinehändler mit internationaler Belegschaft, von erheblicher Bedeutung.
Kündigung, Rechtswahl und Schriftform im internationalen Kontext
Im vorliegenden Fall ging es um die Kündigung einer Flugbegleiterin, deren Arbeitsvertrag ursprünglich in den USA geschlossen und durch Rechtswahl US-amerikanischem Arbeitsrecht unterstellt war. Das Bundesarbeitsgericht musste hierbei klären, ob deutsches Recht zur Anwendung kommt und ob insbesondere das deutsche Schriftformerfordernis nach § 623 Bürgerliches Gesetzbuch, das für Kündigungen grundsätzlich zwingend ist, Anwendung findet. Der Grundsatz der "Employment-at-will-Doktrin" im US-Recht, der eine Kündigung jederzeit und ohne Angabe von Gründen erlaubt, kollidiert wesentlich mit dem strengen Kündigungsschutz nach deutschem Arbeitsrecht.
Das Gericht stellte klar, dass nach den Regeln des Internationalen Privatrechts die Rechtswahl wirksam ist, sofern sie den zwingenden Schutzbestimmungen des anwendbaren Rechts nicht widerspricht. In diesem Fall war deutsches Recht das objektive Vertragsstatut, sodass bestimmte zwingende Regelungen wie § 622 BGB – die Kündigungsfristenregelung – einbezogen werden mussten. Hinsichtlich der Form entschied das Gericht jedoch, dass nicht zwingend die deutsche Schriftform gilt, da nach Art. 11 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch die Form sich am Ort der Vornahme – hier die USA – richtet.
Rechtsfolgen und Argumentation des Bundesarbeitsgerichts
- Das Gericht entschied, dass die Kündigung trotz elektronischer Form rechtswirksam sein konnte, da das Formerfordernis nicht an deutsches Recht gebunden war. Dies betrifft besonders globale Unternehmen, die ihre Personalentscheidungen international treffen und abwickeln.
- Klar wurde aber auch, dass zwingende Kündigungsfristen eingehalten werden müssen. Dies führte hier zur Annahme, dass das Arbeitsverhältnis nicht sofort endete, sondern erst mit Ablauf der deutschen Kündigungsfrist gemäß § 622 Abs. 2 Nr. 7 Bürgerliches Gesetzbuch zum 30. April 2021.
- Hinsichtlich möglicher Massenentlassungen entschied das Gericht, dass kleinere Abweichungen bei den Angaben zur Arbeitnehmeranzahl in einer Massenentlassungsanzeige unschädlich sind, sofern sie die Arbeit der Agentur für Arbeit nicht wesentlich beeinflussen.
- Ein Betriebsrats- oder Konsultationsverfahren nach § 17 Kündigungsschutzgesetz war in diesem Fall nicht erforderlich, da es keinen deutschen Betriebsrat oder eine nach deutschem Recht gebildete Vertretung gab.
Damit hat das Bundesarbeitsgericht eine Abgrenzung zwischen zwingendem deutschem Arbeitnehmerschutz und vertraglich vereinbarter Rechtswahl in international ausgerichteten Arbeitsverhältnissen geschaffen.
Folgen für kleine Unternehmen, Mittelstand und internationale Betriebe
Für kleine Unternehmen, mittelständische Betriebe und spezialisierte Branchen wie Pflegeeinrichtungen oder Onlinehändler ergeben sich aus der Entscheidung wichtige Konsequenzen. Sobald Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Ausland beschäftigt sind oder Arbeitsverträge unter fremdem Recht abgeschlossen wurden, ist stets zu prüfen, ob deutsches Recht ergänzend anwendbar ist. Wer etwa internationales Flug-, Transport- oder Pflegepersonal beschäftigt, muss berücksichtigen, dass das deutsche Kündigungsrecht auch dann eingreifen kann, wenn formal eine ausländische Rechtswahl getroffen wurde.
Gerade kleine Unternehmen, die nicht über spezialisierte Personalabteilungen verfügen, sollten vermeiden, sich ausschließlich auf vertragliche Rechtswahlklauseln zu verlassen. Zwar bietet ausländisches Recht gelegentlich flexiblere Kündigungsmöglichkeiten, doch greifen in Deutschland zwingend deutsche Fristenregelungen, die erhebliche finanzielle Folgen nach sich ziehen können, beispielsweise durch Annahmeverzugslohnzahlungen. Onlinehändler mit ausgelagerten Serviceeinheiten oder Pflegeeinrichtungen mit internationalem Fachpersonal profitieren von einer klaren Kenntnis der Rechtslage, um arbeitsgerichtliche Risiken frühzeitig zu minimieren.
Mit Blick auf Massenentlassungen zeigt die Entscheidung, dass Unternehmen nicht übermäßig durch Formalien belastet werden sollen, kleine Abweichungen jedoch keine Unwirksamkeit der Kündigungen erzeugen. Das gibt insbesondere kleinen und mittelständischen Betrieben mehr Sicherheit bei Restrukturierungsmaßnahmen.
Ausblick und Fazit zur Rechtssicherheit bei Kündigungen
Das Urteil stärkt die Rechtssicherheit in grenzüberschreitenden Arbeitsverhältnissen und verdeutlicht die Linie des Bundesarbeitsgerichts: Unternehmen können sich zwar auf internationale Vertragsgestaltungen stützen, müssen aber die zwingenden Schutzregelungen des deutschen Arbeitsrechts beachten. Für Arbeitgeber bedeutet dies, dass sie Kündigungen besonders sorgfältig vorbereiten und sowohl deutsches als auch ausländisches Recht parallel im Blick behalten sollten. Dies gilt umso mehr für Mittelständler und kleine Firmen ohne eigene Rechtsabteilung.
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