Die Ausgestaltung von Arbeitsverträgen steht immer wieder im Fokus arbeitsgerichtlicher Entscheidungen. Besonders bedeutsam ist die Frage, wie allgemeine Bezugnahmeregelungen in Verträgen auszulegen sind, wenn neue gesetzliche oder tarifliche Leistungen – wie etwa die Inflationsausgleichsprämie – eingeführt werden. Das Bundesarbeitsgericht hatte sich im Verfahren 4 AZR 282/24 mit einer solchen Konstellation zu befassen und entschied am 21. Mai 2025 über die Reichweite einer vertraglichen Bezugnahme. Diese Thematik betrifft nicht nur Großkonzerne, sondern in hohem Maße auch kleine und mittelständische Unternehmen, Onlinehändler oder Pflegeeinrichtungen, die regelmäßig standardisierte Vertragsklauseln verwenden.
Rechtlicher Hintergrund und Auslegung von Bezugnahmeklauseln
Bezugnahmeklauseln in Arbeitsverträgen dienen dazu, externe Regelwerke wie Tarifverträge oder betriebliche Vereinbarungen auf das Arbeitsverhältnis anwendbar zu machen. Fraglich ist jedoch, in welchem Umfang diese Klauseln auch neu eingeführte Zahlungen wie eine Inflationsausgleichsprämie erfassen. Das Bundesarbeitsgericht griff dazu auf die ergänzende Vertragsauslegung zurück, ein juristisches Instrument, das dann zum Tragen kommt, wenn eine Vertragslücke vorliegt. Eine solche Lücke besteht, wenn eine wichtige Frage im Vertrag nicht geregelt ist, obwohl beide Parteien sie erkennbar geregelt hätten, wenn ihnen die spätere Entwicklung bewusst gewesen wäre.
Im aktuellen Verfahren stand damit die Frage im Mittelpunkt, ob Arbeitnehmer einen Anspruch auf die steuer- und sozialversicherungsfreie Inflationsausgleichsprämie geltend machen können, wenn ihr Arbeitsvertrag eine allgemeine Bezugnahme auf tarifliche Regelungen enthält, der zugrunde liegende Tarifvertrag diese Leistung aber nicht vorsieht. Nach der Entscheidung war eine automatische Einbeziehung nicht ohne Weiteres anzunehmen. Vielmehr müsse die einzelne Bezugnahmeklausel im Einzelfall ausgelegt werden. Der 4. Senat stellte dabei klar, dass nur dann von einer Einbeziehung neuer Leistungen ausgegangen werden könne, wenn dies dem mutmaßlichen Willen der Parteien entspricht.
Rechtliche Bewertung und Begründung der Entscheidung
Das Bundesarbeitsgericht bestätigte damit die enge Auslegung bestehender Bezugnahmeklauseln und stellte klar, dass die Inflationsausgleichsprämie nicht pauschal über eine allgemeine Bezugnahme geschuldet wird. Systematisch folgt dies aus der Rechtsprechung zur ergänzenden Vertragsauslegung, nach der eine Leistung nur dann einbezogen wird, wenn eine planwidrige Regelungslücke vorliegt und die Auslegung ergibt, dass beide Parteien sie geschlossen hätten.
- Das Gericht stellte darauf ab, dass die Inflationsausgleichsprämie als zeitlich begrenzte Sonderzahlung konzipiert war und nicht notwendigerweise in den intendierten Regelungsgehalt pauschaler Bezugnahmeklauseln fällt.
- Weiterhin betonte es, dass die steuer- und sozialversicherungsrechtliche Privilegierung nicht automatisch zur arbeitsvertraglichen Verpflichtung zur Leistung führt. Das Steuerrecht regelt lediglich die Behandlung einer Zahlung, nicht aber deren Anspruchsgrundlage.
- Letztlich wird durch die enge Auslegung vermieden, dass Arbeitgeber mit zusätzlichen finanziellen Verpflichtungen belastet werden, die sie bei der Vereinbarung der Bezugnahmeklausel nicht im Blick hatten.
Bedeutung für Unternehmen und Praxisrelevanz
Für kleine und mittelständische Unternehmen, Pflegeeinrichtungen oder auch Onlinehändler ist die Klarstellung des Bundesarbeitsgerichts von erheblicher Bedeutung. Viele Betriebe haben ihre Arbeitsverträge standardisiert und verwenden vorformulierte Klauseln, die auf Tarifverträge Bezug nehmen. Die Entscheidung zeigt, dass eine automatische Einbeziehung neuer Leistungen wie der Inflationsausgleichsprämie nicht zwingend ist, sondern nur über eine eindeutige Formulierung im Vertrag erfolgen kann.
Praktisch bedeutet dies, dass Unternehmer ihre Vertragsformulare regelmäßig überprüfen sollten, um unerwartete Verpflichtungen zu vermeiden. Wollen Arbeitgeber künftige Sonderzahlungen ausdrücklich einbeziehen oder ausschließen, sollte dies klar geregelt werden. Steuerberater und Finanzverantwortliche in Unternehmen sollten zudem berücksichtigen, dass die steuerliche Begünstigung der Prämie keinen originären Zahlungsanspruch schafft. Dies ist ein wesentlicher Punkt in der Beratungspraxis, weil immer wieder Unsicherheiten entstehen, ob Arbeitnehmer diese Zahlungen einklagen können.
Für einzelne Branchen kann die Relevanz unterschiedlich stark ausfallen. Während im Pflegebereich Tarifbezüge oft stärker institutionalisiert sind, greifen Onlinehändler häufig auf allgemein gehaltene Musterverträge zurück. Mittelständische Industrieunternehmen stehen wiederum vor der Herausforderung, individuelle und tarifliche Regelungen in Einklang zu bringen. Gerade hier liefert die Entscheidung wertvolle Hinweise für die Vertragsgestaltung und die Absicherung gegenüber unvorhergesehenen Kostenrisiken.
Fazit und Ausblick
Mit seiner Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht einen wichtigen Maßstab für die Auslegung von Bezugnahmeregelungen gesetzt. Der Anspruch auf die Inflationsausgleichsprämie ergibt sich nicht allein aus steuerrechtlichen Regelungen, sondern erfordert eine klare vertragliche oder tarifliche Grundlage. Für Unternehmen aller Größenordnungen, von der kleinen Arztpraxis bis hin zum mittelständischen Produktionsbetrieb, ergibt sich daraus die Notwendigkeit, Vertragswerke regelmäßig juristisch und steuerlich prüfen zu lassen. So lassen sich Risiken vermeiden und gleichzeitig Rechtssicherheit für Arbeitgeber und Arbeitnehmer schaffen.
Als Kanzlei unterstützen wir kleine und mittelständische Unternehmen bei der rechtssicheren Gestaltung von Arbeitsverträgen und haben uns auf Prozessoptimierung in der Buchhaltung sowie die Digitalisierung spezialisiert. Diese Verbindung ermöglicht nicht nur Rechtssicherheit, sondern auch erhebliche Kostenersparnisse und Effizienzgewinne im gesamten Rechnungswesen.
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