Auslegung von Bezugnahmeregelungen und Hintergrund der Inflationsausgleichsprämie
Die Frage, ob Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Anspruch auf eine Inflationsausgleichsprämie haben, wenn Arbeitsverträge auf Tarifverträge oder andere Regelwerke verweisen, hat in den vergangenen Monaten für erhebliche Diskussionen gesorgt. Mit der aktuellen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 21. Mai 2025 (Az. 4 AZR 280/24) wurde ein weiteres Kapitel dieser Thematik aufgeschlagen. Auch wenn die Entscheidungsgründe in diesem Fall fehlen, steht dennoch fest, dass die Auseinandersetzung um die Reichweite der vertraglichen Bezugnahmeregelungen und die Auslegung solcher Klauseln von zentraler Bedeutung für Unternehmen bleibt.
Die Inflationsausgleichsprämie wurde vom Gesetzgeber eingeführt, um Beschäftigte in Zeiten starker Preissteigerungen zu entlasten. Nach § 3 Nr. 11c Einkommensteuergesetz können Arbeitgeber ihren Mitarbeitenden steuer- und sozialversicherungsfrei bis zu 3.000 Euro auszahlen, solange dies im Zeitraum vom 26. Oktober 2022 bis Ende 2024 erfolgt. Dabei handelt es sich um eine freiwillige Leistung, die Arbeitgeber gewähren können, jedoch nicht müssen. Die Herausforderung entsteht, wenn Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen oder arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln regeln, dass Arbeitnehmer an den Ergebnissen solcher Vereinbarungen teilhaben.
Vertragsauslegung und ergänzende Regelungen im Lichte der Rechtsprechung
Im Arbeitsrecht spielt die Auslegung von Bezugnahmeklauseln eine bedeutende Rolle. Eine Bezugnahmeklausel ist eine Vereinbarung im Arbeitsvertrag, durch die der Arbeitgeber auf bestimmte externe Regelungen verweist, etwa Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen. Die Reichweite dieser Klauseln ist regelmäßig streitig, insbesondere wenn neue Regelungsgegenstände wie die Inflationsausgleichsprämie hinzutreten. Fraglich ist dann, ob Arbeitnehmer einen unmittelbaren Anspruch daraus ableiten können. Das Bundesarbeitsgericht hat mit der aktuellen Entscheidung klargestellt, dass eine solche ergänzende Vertragsauslegung sorgfältig vorzunehmen ist, insbesondere in Fällen, in denen neue, im Zeitpunkt der Vertragsschließung nicht absehbare Leistungen geschaffen wurden.
Juristisch betrachtet sind zwei Wege denkbar: Zum einen die enge Auslegung, nach der nur ausdrücklich genannte Leistungen erfasst werden, und zum anderen die weite Auslegung, bei der auch vergleichbare oder neue Leistungen einbezogen werden, wenn dies dem Sinn und Zweck der Bezugnahmeregelung entspricht. Das Gericht hat in diesem Kontext die ergänzende Vertragsauslegung in den Vordergrund gestellt, die dann greift, wenn Lücken im Vertrag bestehen, die eine ausgewogene Lösung erfordern. Arbeitgeber sollten daher genau prüfen, wie ihre Vertragswerke gestaltet sind und ob Formulierungen hinreichend klar zwischen freiwilligen Zusatzleistungen und verpflichtenden Zahlungen differenzieren.
Konkrete Folgen für kleine und mittelständische Unternehmen
Für Unternehmen aller Größenordnungen – vom kleinen Handwerksbetrieb über Pflegeeinrichtungen bis hin zu Onlinehändlern – hat die aktuelle Rechtsprechung direkte Auswirkungen. Viele Betriebe haben in der Vergangenheit Bezugnahmeklauseln verwendet, ohne im Detail zu beachten, welche Folgen dies bei künftigen neuen Leistungen haben könnte. Wenn ein Unternehmen beispielsweise tarifgebunden ist oder arbeitsvertraglich auf Tarifverträge verweist, besteht die Gefahr, dass neue Zahlungen wie die Inflationsausgleichsprämie auch für die eigene Belegschaft verpflichtend werden, obwohl sie eigentlich als freiwillige Leistung gedacht sind.
Für kleine Unternehmen ist besonders kritisch, dass unklare Vertragsformulierungen zu erheblichen finanziellen Belastungen führen können. Ein kleiner Onlinehändler, der mehrere Mitarbeitende nach einem Tarifvertrag beschäftigt, könnte durch eine unbedachte Bezugnahmeklausel verpflichtet sein, allen Beschäftigten eine Inflationsausgleichsprämie zu zahlen. Mittelständische Pflegeeinrichtungen sehen sich ebenfalls mit der Schwierigkeit konfrontiert, dass für sie tarifliche Ergänzungen sofort rechtlich durchschlagen und zusätzlichen Liquiditätsbedarf nach sich ziehen. Es ist daher ratsam, bei der Gestaltung von Arbeitsverträgen sorgfältig auf präzise Formulierungen zu achten und insbesondere die Abgrenzung zwischen freiwilligen und verpflichtenden Leistungen unmissverständlich festzuhalten.
Für Unternehmen, die bereits Zahlungen geleistet haben, stellt sich die Frage, ob diese auf einer freiwilligen Grundlage oder aufgrund bestimmter Regelungsmechanismen erfolgt sind. Finanzinstitutionen, die Personalstrategien für Tochtergesellschaften oder Portfoliounternehmen entwickeln, sollten ebenfalls bedenken, dass aus unscharfen Vertragsregelungen finanzielle Risiken erwachsen können. Ein umsichtiges Vertragsmanagement und eine regelmäßige juristische Prüfung der Bezugnahmeklauseln sind deshalb auch unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten unverzichtbar.
Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen für die Unternehmenspraxis
Die Entscheidung verdeutlicht, dass Unternehmen jeder Größe – unabhängig davon, ob es sich um kleine Betriebe, mittelständische Unternehmen oder spezialisierte Dienstleister wie Pflegeeinrichtungen handelt – ihre Vertragswerke sorgfältig prüfen müssen. Nur durch eindeutige und praxisgerechte Formulierungen lassen sich ungewollte Verpflichtungen vermeiden. Arbeitgeber sollten sich nicht darauf verlassen, dass freiwillige staatliche Unterstützungsinstrumente wie die Inflationsausgleichsprämie automatisch im freien Ermessen bleiben, wenn Bezugnahmeklauseln sie in eine bindende Verpflichtung umwandeln können.
Die aktuelle Rechtslage bietet zugleich die Chance, Arbeitsverträge und interne Richtlinien strategisch neu aufzustellen und so rechtliche Risiken zu minimieren. Eine klare Abgrenzung zwischen freiwilligen Leistungen und verpflichtenden Zahlungen ist dabei das zentrale Element. Für Unternehmen, die eine effiziente und rechtssichere Personalpolitik verfolgen möchten, zeigt sich hier eindrücklich, wie wichtig ein strukturiertes Vertragsmanagement ist.
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