Die Frage, ob Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einen Anspruch auf Inflationsausgleichszahlungen haben, wenn ihr Arbeitsvertrag Tarifwerke nur teilweise in Bezug nimmt, sorgt derzeit für erhebliche Unsicherheit in Unternehmen. Gerade für kleine und mittlere Betriebe, aber auch für Pflegeeinrichtungen oder Unternehmen im Onlinehandel, ist das Verständnis solcher Regelungen entscheidend, um finanzielle Belastungen realistisch einschätzen zu können. Das Bundesarbeitsgericht hat hierzu am 21. Mai 2025 (Aktenzeichen 4 AZR 303/24) wichtige Leitlinien aufgestellt.
Arbeitsvertragliche Bezugnahme und gesetzlicher Hintergrund
Im Zentrum des Verfahrens stand die Frage, ob ein Krankenpfleger Anspruch auf die im Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst vereinbarten Inflationsausgleichsprämien hat, obwohl sein Arbeitsvertrag nur einzelne Vergütungsbestandteile des ursprünglichen Bundes-Angestelltentarifvertrags und später des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD) in Bezug nimmt. Inflationsausgleichsprämien wurden durch § 3 Nr. 11c des Einkommensteuergesetzes steuerfrei gestellt und von den Tarifparteien für den öffentlichen Dienst als Sonderzahlungen vereinbart. Bei diesen Zahlungen handelt es sich um steuerfreie Zuschüsse, die Arbeitgeber in einem festgelegten Zeitraum zusätzlich zum regulären Entgelt leisten konnten, um die Auswirkungen der steigenden Verbraucherpreise abzufedern.
Der Kläger war der Auffassung, die Bezugnahmeklausel in seinem Arbeitsvertrag erlaube es, auch diese Sonderzahlungen zu beanspruchen. Seine Arbeitgeberin verweigerte dagegen die Zahlung mit dem Hinweis, dass die vertragliche Regelung auf das Tabellenentgelt beschränkt sei und keine weiteren tariflichen Sonderleistungen einschließe. Während das Landesarbeitsgericht ihm zunächst recht gab, entschied das Bundesarbeitsgericht in letzter Instanz, dass kein Anspruch auf diese steuerbegünstigten Zahlungen besteht.
Begründung der Entscheidung und rechtliche Einordnung
Das Gericht konzentrierte sich bei seiner Begründung vor allem auf die arbeitsvertragliche Auslegung. Bezugnahmeklauseln, die auf Tarifwerke oder einzelne Bestandteile verweisen, gelten als Allgemeine Geschäftsbedingungen. Ihre Interpretation erfolgt nach objektivem Inhalt und typischem Sinn, das heißt danach, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern verstanden werden. Ausgangspunkt ist der Wortlaut, ergänzt durch Zweck und Interessenlage der Parteien.
Das Bundesarbeitsgericht stellte klar, dass die vereinbarte Bezugnahme ausschließlich die Vergütungsordnung des TVöD beziehungsweise dessen Vorgänger BAT betraf. Mit dieser engen Anknüpfung waren Gehaltssteigerungen, die aus einer Anpassung der Tabellenwerte folgen, abgedeckt. Nicht erfasst sind jedoch zusätzliche Vergütungsbestandteile, die unabhängig vom Tabellenentgelt durch gesonderte Tarifverträge vereinbart werden. Die Inflationsausgleichsprämie ist explizit als zusätzliche, nicht zum regulären Entgelt zählende Leistung ausgestaltet, die den Zweck der Preissteigerungskompensation verfolgt. Sie fällt deshalb nicht unter die allgemeine Vergütungsregelung. Eine ergänzende Vertragsauslegung, bei der Lücken im Vertrag durch hypothetisches Parteiwillen geschlossen werden, kam aus Sicht des Gerichts nicht in Betracht, da keine planwidrige Regelungslücke vorlag. Vielmehr war erkennbar, dass die Arbeitgeberin mit der Klausel gerade nicht sämtliche künftigen tariflichen Leistungen übernehmen wollte.
Relevanz für Unternehmen, Pflegeeinrichtungen und Handel
Die Entscheidung hat erhebliche Bedeutung für verschiedene Unternehmensgruppen. In Pflegeeinrichtungen, die häufig Arbeitsverträge mit nur teilweiser Bezugnahme auf Tarifverträge nutzen, stellt das Urteil klar, dass nicht automatisch jede neue tarifvertragliche Sonderzahlung übernommen werden muss. Für kleine Unternehmen und Onlinehändler bedeutet dies Rechtssicherheit bei der Abgrenzung von Lohnbestandteilen. Wird ein Arbeitsvertrag auf konkrete Vergütungsbestandteile eingeschränkt, so besteht keine Pflicht, steuerfreie Zuschüsse oder sonstige Prämien ohne ausdrückliche Aufnahme in den Vertrag weiterzureichen.
Auf der anderen Seite verdeutlicht die Entscheidung auch, dass eine klare Vertragsgestaltung haftungs- und kostenrelevante Risiken erheblich senken kann. Unpräzise Klauseln könnten zu kostspieligen Rechtsstreitigkeiten führen. Unternehmen sollten daher prüfen, ob ihre Arbeitsverträge eindeutig formuliert sind und ob Bezugnahmeregelungen tatsächlich den gewünschten Umfang erfassen. Für kleine und mittlere Unternehmen kann dies eine unmittelbare finanzielle Entlastung bedeuten, da sie nicht auf zusätzlichen Zahlungen in Anspruch genommen werden können, die rechtlich gar nicht geschuldet sind.
Zudem wird deutlich, dass steuerliche Sonderregelungen wie der Inflationsausgleich nicht automatisch Teil der Vergütungssysteme werden, wenn sie nicht ausdrücklich in den vertraglichen Geltungsbereich aufgenommen sind. Für Steuerberaterinnen und Steuerberater sowie Finanzverantwortliche in Betrieben heißt das, dass eine sorgfältige Prüfung von Arbeitsverträgen entscheidend ist, um eine zutreffende steuer- und arbeitsrechtliche Behandlung der Lohnbestandteile sicherzustellen.
Klares Fazit für Vertragsgestaltung und Unternehmenspraxis
Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zur Abgrenzung von Bezugnahmeklauseln gegenüber Inflationsausgleichsprämien bringt für Unternehmen aller Größenordnungen eine wertvolle Klarstellung. Maßgeblich ist stets, was der Vertrag tatsächlich regelt und was nicht. Unternehmen sind damit gut beraten, Arbeitsverträge regelmäßig auf ihre Tragweite hin zu überprüfen und unnötige Risiken durch präzise Vertragsformulierungen zu vermeiden. Gerade angesichts der erheblichen finanziellen Effekte einer falschen Anwendung von Nebenleistungen kann dies entscheidend für die Planungssicherheit eines Unternehmens sein.
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