Europäisches Antidiskriminierungsrecht im Arbeitsumfeld
Mit dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Rechtssache C-38/24 vom 11. September 2025 wurde klargestellt, dass Eltern behinderter Kinder in den Schutzbereich des Verbots der mittelbaren Diskriminierung einbezogen sind. Unter mittelbarer Diskriminierung versteht man eine rechtliche oder organisatorische Regelung, die auf den ersten Blick neutral ausgestaltet ist, in der Praxis aber bestimmte Personengruppen besonders benachteiligt. Bislang war dieser Schutz vor allem auf Personen beschränkt, die selbst eine Behinderung haben. Nunmehr gilt er ausdrücklich auch für Beschäftigte, die aufgrund ihrer Verantwortung für behinderte Angehörige benachteiligt werden könnten.
Der Begriff der Mitdiskriminierung, der bereits im Urteil Coleman (C-303/06) relevant war, beschreibt die unzulässige Benachteiligung einer Person nicht wegen ihrer eigenen Merkmale, sondern wegen ihrer engen Beziehung zu einer Person mit geschütztem Merkmal. Im aktuellen Fall wurde dieser Gedanke fortentwickelt und auf Eltern behinderter Kinder ausgeweitet.
Praktische Auswirkungen für Arbeitgeber
Nach der sogenannten Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie 2000/78/EG sind Arbeitgeber verpflichtet, Diskriminierungen zu verhindern und erforderliche Anpassungen zu ermöglichen, soweit diese den Betrieb nicht unverhältnismäßig belasten. Der Gerichtshof hat betont, dass Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen so gestaltet werden müssen, dass Eltern behinderter Kinder ihre familiären Verpflichtungen wahrnehmen können, ohne am Arbeitsplatz benachteiligt zu werden. Konkret bedeutet dies, dass bei Anträgen auf angepasste Arbeitszeiten oder besondere organisatorische Vorkehrungen sorgfältig zu prüfen ist, ob diese dem Unternehmen zumutbar sind.
Während große Konzerne mit umfangreichen Ressourcen eine flexiblere Gestaltung von Arbeitsmodellen leichter einführen können, stehen kleine und mittelständische Unternehmen vor besonderen organisatorischen und finanziellen Herausforderungen. Dennoch kann die frühzeitige Auseinandersetzung mit flexiblen Arbeitszeitmodellen und angepassten Arbeitsplätzen dazu beitragen, rechtliche Risiken zu minimieren und die Mitarbeiterbindung zu stärken.
Relevanz für unterschiedliche Unternehmensbereiche
Für Pflegeeinrichtungen, Krankenhäuser oder andere Einrichtungen im Gesundheitswesen hat diese Entscheidung eine besondere Tragweite. Gerade dort sind Schichtpläne häufig unflexibel und rund-um-die-Uhr-Dienste erforderlich. Gleichwohl müssen Arbeitgeber sicherstellen, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die behinderte Kinder betreuen, nicht mittelbar benachteiligt werden. Auch für Onlinehändler und Dienstleistungsbetriebe, in denen Homeoffice und flexible Arbeitsmodelle denkbar sind, stellt sich die Frage, wie sich die betriebliche Organisation anpassen lässt, ohne die wirtschaftliche Belastung unverhältnismäßig zu erhöhen.
Im praktischen Alltag wird das Spannungsfeld zwischen unternehmerischer Belastung und den individuellen Bedürfnissen betroffener Mitarbeiter deutlich spürbar. Arbeitgeber sind gehalten, zwischen betrieblichen Anforderungen und den Rechten der Beschäftigten sorgfältig abzuwägen. Nationale Gerichte sind jeweils verpflichtet zu prüfen, ob eine beantragte Anpassung für das Unternehmen tatsächlich eine unverhältnismäßige Belastung darstellen würde.
Fazit und Handlungsempfehlungen
Das Urteil schafft rechtliche Klarheit, dass der Diskriminierungsschutz über die unmittelbar betroffenen Personen hinaus auf deren engste Angehörige ausgedehnt ist. Für Arbeitgeber ergibt sich daraus die Verantwortung, Anpassungen vorzunehmen und Arbeitsbedingungen diskriminierungsfrei zu gestalten. Es wird im Einzelfall darauf ankommen, die Verhältnismäßigkeit zu beurteilen und mögliche Lösungen in den bestehenden betrieblichen Kontext zu integrieren. Für Unternehmen aller Größenordnungen, insbesondere im Mittelstand, empfiehlt es sich, die Personal- und Schichtplanung so zu gestalten, dass angemessene Flexibilität gegeben ist, ohne die betrieblichen Abläufe zu gefährden.
Da die Umsetzung solcher Vorgaben nicht nur rechtliche, sondern auch organisatorische Auswirkungen hat, ist eine frühzeitige Prozessoptimierung essenziell. Unsere Kanzlei unterstützt kleine und mittelständische Unternehmen dabei, durch Digitalisierung und effizientere Abläufe in der Buchhaltung sowie in internen Prozessen nicht nur rechtliche Risiken zu vermeiden, sondern auch erhebliche Kostenersparnisse zu erzielen. Wir verfügen über langjährige Erfahrung in der Betreuung verschiedenster Branchen und legen den Schwerpunkt auf nachhaltige Lösungen zur Prozessoptimierung.
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