Internationale Verkehrsunfälle rechtssicher bewerten
Autoreisen in die Nachbarländer Österreich, Schweiz oder Frankreich sind für viele Unternehmer wie auch Beschäftigte in mittelständischen Betrieben selbstverständlich. Ob Geschäftsreise oder privater Ausflug – immer häufiger treffen Verkehrsteilnehmer verschiedener Herkunft aufeinander. Kommt es bei solchen Fahrten zu einem Unfall, stellt sich regelmäßig die Frage, welches Recht anzuwenden ist und nach welchen Regeln Haftungs- und Schadensersatzansprüche zu beurteilen sind. Ein Urteil des Landgerichts Köln vom 26. Juni 2025 (Az. 36 O 325/23) hat hierzu wichtige Klarheit geschaffen und die Schnittstelle zwischen deutschem Schadensrecht und ausländischen Straßenverkehrsvorschriften präzisiert.
Der zugrunde liegende Fall betraf einen Zusammenstoß zweier deutscher Pkw auf österreichischem Hoheitsgebiet. Beide Fahrzeuge waren in Deutschland versichert und wurden von deutschen Fahrern gesteuert. Der Unfall ereignete sich auf der Bundesstraße B179 bei Lermoos. Das Landgericht musste klären, ob deutsches oder österreichisches Recht für die Beurteilung des Unfallhergangs und des Verschuldensmaßstabes heranzuziehen ist.
Gerichtsentscheidung und rechtliche Einordnung
Nach eingehender Beweisaufnahme stellte das Landgericht Köln fest, dass die Haftungsfrage nach deutschem Schadensrecht, die zugrunde liegenden Straßenverkehrsregeln jedoch nach österreichischem Recht zu beurteilen sind. Die Entscheidung folgt der Rechtslogik des europäischen Kollisionsrechts, insbesondere der Verordnung (EG) Nr. 864/2007, der sogenannten Rom-II-Verordnung. Sie regelt, welches nationale Recht bei außervertraglichen Schuldverhältnissen mit grenzüberschreitendem Bezug anzuwenden ist.
Art. 17 dieser Verordnung bestimmt, dass bei der Beurteilung eines Schadensereignisses die Sicherheits- und Verhaltensnormen des Staates berücksichtigt werden, in dessen Gebiet der Schaden eingetreten ist. Praktisch bedeutet dies: Wer am Straßenverkehr eines anderen Staates teilnimmt, unterliegt dessen Verkehrsregeln – unabhängig von seiner Staatsangehörigkeit, dem Sitz der Versicherung oder dem gewöhnlichen Aufenthalt. Für die Anspruchsgrundlagen, also für den Schadensersatz an sich, bleibt das Recht des Landes maßgebend, in dem die beteiligten Parteien gewöhnlich ansässig sind, sofern dort die wirtschaftlichen und persönlichen Bezüge überwiegen.
Im entschiedenen Fall führte dies dazu, dass deutsches Haftungsrecht auf die zivilrechtlichen Ansprüche anzuwenden war, die konkrete Auslegung von Fahrverhalten und schuldhaftem Verhalten jedoch dem österreichischen Straßenverkehrsrecht unterlag. Gerade hier ergeben sich praktische Unterschiede, die auch für Unternehmerinnen und Unternehmer von Bedeutung sind, die mit Dienstfahrzeugen regelmäßig grenzüberschreitend unterwegs sind.
Unterschiede zwischen deutschem und österreichischem Straßenverkehrsrecht
Das Landgericht stellte klar, dass die österreichischen Verkehrsregeln in zentralen Punkten abweichen. Während in Deutschland § 9 Absatz 1 Satz 4 Straßenverkehrsordnung eine doppelte Rückschaupflicht beim Linksabbiegen vorschreibt – also sowohl vor dem Einordnen als auch unmittelbar vor dem Abbiegen – genügt nach österreichischem Recht gemäß § 12 der österreichischen Straßenverkehrsordnung eine einmalige Rückschau, wenn der Fahrer rechtzeitig blinkt und sich korrekt zur Fahrbahnmitte einordnet. Nur wenn diese äußeren Anzeichen fehlen, ist eine zweite Rückschau geboten. Dieses Detail mag unbedeutend erscheinen, hat aber erhebliche haftungsrechtliche Folgen.
Im vorliegenden Fall hatte die österreichische Fahrerin eines der beteiligten Fahrzeuge ihren linken Blinker rechtzeitig gesetzt und sich zur Fahrbahnmitte hin eingeordnet. Der klagende Fahrzeugführer hingegen entschied sich trotz dieses Signals für ein Überholmanöver auf der linken Seite. Nach österreichischem Recht hätte er stattdessen rechts überholen müssen. Da das linksseitige Überholen eines deutlich zur Fahrbahnmitte hin eingeordneten und blinkenden Fahrzeugs verboten ist, traf den Kläger ein eindeutiges Verschulden. Das Gericht sah die Unfallursache daher ausschließlich bei ihm, während die sogenannte Betriebsgefahr des abbiegenden Fahrzeugs vollständig zurücktrat.
Diese Bewertung zeigt, wie schnell sich die rechtliche Bewertung eines Vorgangs ändern kann, wenn nationale Verkehrsregeln unterschiedlich ausgelegt werden. Selbst für erfahrene Fahrer, die sich nach ihren heimischen Gewohnheiten verhalten, kann dies erhebliche Konsequenzen haben. Wer also mit Firmenfahrzeugen im Ausland unterwegs ist, tut gut daran, sich über die dort geltenden Verkehrsbestimmungen zu informieren.
Praxisrelevanz für Unternehmen, Versicherer und Fahrzeugflotten
Für Unternehmen mit grenzüberschreitender Geschäftstätigkeit, etwa Logistikbetriebe, Handwerksunternehmen oder Pflegedienste mit Einsatzfahrten ins Ausland, hat das Urteil unmittelbare Bedeutung. Es verdeutlicht, dass die örtlich geltenden Verkehrsregeln nicht nur Bußgeld- oder Verwaltungsfolgen haben, sondern unmittelbar in haftungsrechtliche Bewertungen einfließen. Eine fehlende Kenntnis kann sich im Schadensfall nachteilig auswirken – selbst wenn die Versicherung in Deutschland besteht und der Schadensanspruch vor einem deutschen Gericht verhandelt wird.
Versicherer und Flottenbetreiber sollten in ihren Schulungsunterlagen darauf achten, Fahrer regelmäßig über die Verkehrsvorschriften der wichtigsten Nachbarländer zu informieren. Das betrifft insbesondere Überholverbote, Vorfahrtsregeln oder länderspezifische Besonderheiten, wie sie im österreichischen Straßenverkehrsrecht beim Abbiegen gelten. Auch im Rahmen von Corporate-Governance-Strategien kleiner und mittlerer Unternehmen kann eine strukturierte Gefährdungsbeurteilung für Auslandseinsätze sinnvoll sein, um Haftungsrisiken zu minimieren und Schadensprävention zu fördern.
Für Steuerberatende und betriebswirtschaftlich beratende Kanzleien kann aus diesem Urteil ebenfalls ein Handlungsfeld entstehen. Gerade bei der Kalkulation von Fahrzeugkosten oder bei der Bildung von Rückstellungen für Unfall- und Haftungsrisiken kommt der rechtssicheren Einschätzung ausländischer Umstände wachsende Bedeutung zu. Unternehmen, die regelmäßig international agieren, sollten ihre internen Risikoprofile entsprechend anpassen.
Fazit und Handlungsempfehlung
Das Urteil des Landgerichts Köln macht deutlich, dass bei internationalen Verkehrsunfällen die genaue Kenntnis der örtlich geltenden Straßenverkehrsvorschriften entscheidend ist. Auch wenn deutsches Schadensrecht die Anspruchsgrundlage bildet, bestimmen die Vorschriften des Unfallortes über das Fahrverhalten und mögliche Verstöße. Für Unternehmer und Beschäftigte bedeutet dies, nicht allein auf vertraute nationale Regeln zu vertrauen, sondern sich bewusst mit den verkehrsrechtlichen Rahmenbedingungen anderer Staaten auseinanderzusetzen. Der Fall ist ein anschauliches Beispiel dafür, wie die europäische Rechtsordnung in der Praxis ineinandergreift und zugleich klare Zuständigkeiten schafft.
Unsere Kanzlei unterstützt kleine und mittelständische Unternehmen bei der rechtlichen Bewertung von internationalen Geschäftsprozessen und der Optimierung ihrer internen Abläufe. Mit unserem Schwerpunkt auf Digitalisierung und Prozessoptimierung in der Buchhaltung helfen wir, Strukturen effizienter zu gestalten und so langfristig erhebliche Kostenersparnisse zu erzielen. Wir betreuen Mandanten aus unterschiedlichsten Branchen und verfügen über langjährige Erfahrung, um rechtssichere und praxisorientierte Lösungen zu entwickeln.
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