Grenzüberschreitende Verluste im Fokus der deutschen Steuerpraxis
Die Frage, ob sogenannte finale Betriebsstättenverluste einer ausländischen Betriebsstätte im Inland steuerlich berücksichtigt werden können, beschäftigt seit Jahren Unternehmende, Steuerberatende und Finanzverantwortliche gleichermaßen. Aktuell hat das Finanzgericht Düsseldorf mit Urteil vom 2. Juli 2025 (Az. 2 K 3098/20 G,F) entschieden, dass der Abzug solcher Verluste einer belgischen Betriebsstätte nach nationalem Recht ebenso wie nach Unionsrecht nicht zulässig ist. Die Revision wurde zugelassen und ist beim Bundesfinanzhof unter dem Aktenzeichen I R 22/25 anhängig. Diese Entscheidung ist von erheblicher Relevanz für deutsche Unternehmensgruppen mit internationalen Betriebsstätten, insbesondere für Kapitalgesellschaften sowie mittelständische Unternehmensstrukturen mit Tochtergesellschaften oder Beteiligungen im Ausland.
Unter einer Betriebsstätte versteht man im steuerlichen Sinne eine feste Geschäftseinrichtung, durch die die Tätigkeit eines Unternehmens ganz oder teilweise ausgeübt wird. Entstehen in einer solchen Betriebsstätte Verluste, so stellt sich die Frage, in welchem Staat diese steuerlich berücksichtigt werden dürfen. Finale Verluste sind solche, die weder tatsächlich noch rechtlich im Betriebsstättenstaat nutzbar gemacht werden können, etwa weil die Betriebsstätte liquidiert wurde. Das Steuerrecht sowohl in Deutschland als auch auf europäischer Ebene hat in den letzten Jahren mehrfach Gelegenheit gehabt, sich mit diesem komplexen Themenfeld auseinanderzusetzen.
Hintergrund des Falls und rechtliche Grundlagen
Im Streitfall war eine deutsche Kommanditgesellschaft Organträgerin einer inländischen GmbH, die wiederum an einer belgischen Gesellschaft in der Rechtsform einer Commanditaire Vennotschap beteiligt war. Diese belgische Gesellschaft wurde nach belgischem Steuerrecht wie eine Kapitalgesellschaft behandelt und verfügte dort über eine Betriebsstätte. Nach deren Liquidation blieben Verluste zurück, die in Belgien nicht mehr steuerlich nutzbar waren. Die deutsche GmbH, als mittelbare Beteiligte, begehrte, diese Verluste in Deutschland als sogenannte finale Verluste abzuziehen, da sie im Ausland endgültig untergegangen seien.
Das Finanzgericht lehnte den Abzug mit Hinweis auf das Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Deutschland und Belgien ab. Doppelbesteuerungsabkommen, kurz DBA, sind völkerrechtliche Verträge, die regeln, welchem Staat das Besteuerungsrecht für bestimmte Einkünfte zusteht. Gemäß Artikel 7 des DBA-Belgien wird das Besteuerungsrecht für Gewinne und Verluste einer Betriebsstätte grundsätzlich dem Staat zugewiesen, in dem sich die Betriebsstätte befindet. Deutschland muss daher sowohl Gewinne als auch Verluste aus der belgischen Betriebsstätte von der heimischen Bemessungsgrundlage ausnehmen. Diese Symmetrie zwischen Besteuerungs- und Abzugsverbot gilt unabhängig davon, ob es sich um laufende oder finale Verluste handelt.
Unionsrechtliche Bewertung und Bedeutung für kleine und mittelständische Unternehmen
Das Gericht verwies auch auf die einschlägige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, zuletzt die Entscheidung in der Rechtssache W (C‑538/20). Danach kann ein Mitgliedstaat den Abzug finaler Auslandsverluste verwehren, wenn die Nichtberücksichtigung auf einer bilateralen Abkommensregelung beruht. Die Niederlassungsfreiheit nach Artikel 49 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union wird dadurch nicht verletzt, da die bilaterale Kompetenzverteilung im Bereich der Besteuerung grundsätzlich respektiert wird.
Für kleine und mittelständische Unternehmen mit Betriebsstätten oder Tochtergesellschaften im europäischen Ausland bedeutet diese Rechtsprechung eine eindeutige Klarstellung: Verluste, die im Ausland entstehen und dort aufgrund der jeweiligen Rechtslage nicht nutzbar gemacht werden können, dürfen nicht automatisch im Inland angesetzt werden. Damit entfällt die Möglichkeit, sich auf das Konzept vermeintlich finaler Verluste zu berufen, wenn diese im Rahmen der Bilanzkonsolidierung steuerlich wirksam gemacht werden sollen. Für international tätige Mittelständler ist dies insbesondere in Liquidationssituationen relevant, in denen bisher eine Hoffnung bestand, verbleibende Verluste im Inland verrechnen zu können.
Gleichzeitig stärkt die Entscheidung den sogenannten Symmetriegedanken: Gewinne und Verluste müssen steuerlich gleichbehandelt werden, wobei die Zuordnung des Besteuerungsrechts nach dem jeweiligen Doppelbesteuerungsabkommen Vorrang hat. Unternehmen müssen deshalb künftig noch stärker auf eine frühzeitige steuerliche Planung und Koordination zwischen ihren deutschen und ausländischen Standorten achten, um steuerliche Nachteile zu vermeiden.
Praktische Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen
Für die Praxis heißt das: Eine sorgfältige Prüfung der Umsatz- und Ertragssituation ausländischer Betriebsstätten ist unerlässlich. Steuerberatende sollten ihre Mandanten frühzeitig darüber informieren, dass Liquidationsverluste aus ausländischen Betriebsstätten weder auf der Ebene der Muttergesellschaft noch im Wege einer Organschaft geltend gemacht werden können, wenn ein einschlägiges Doppelbesteuerungsabkommen solche Einkünfte der Besteuerung im Ausland zuweist. Auch unionsrechtlich bietet die aktuelle Rechtsprechung keine Grundlage, hiervon abzuweichen. Unternehmen, die mit internationalen Holding- oder Betriebsstättenstrukturen arbeiten, sollten daher ihre steuerliche Dokumentation anpassen und Szenarien durchrechnen, in denen Verluste unter Umständen vollständig steuerlich verloren gehen.
Aus betriebswirtschaftlicher Sicht können zusätzliche Maßnahmen angezeigt sein, etwa eine frühzeitigere Beendigung verlustreicher Auslandstätigkeiten oder eine Umstrukturierung von Beteiligungsverhältnissen, um künftige Verluste dort zu realisieren, wo sie steuerlich wirksam werden. Steueroptimierung bedeutet in diesem Kontext nicht Umgehung, sondern intelligente Gestaltung unter Beachtung der geltenden Abkommen und der Rechtsprechung.
Der Fall aus Düsseldorf setzt ein deutliches Signal für alle international engagierten Unternehmen, dass die Spielräume für den steuermindernden Ansatz von Auslandsverlusten eng gesteckt bleiben. Unternehmerische Verantwortung erfordert hier klare steuerliche Strategien, begleitet von präziser Compliance und professioneller Beratung. Eine frühzeitige Abstimmung mit dem Steuerberater oder einer spezialisierten Kanzlei kann helfen, rechtliche Risiken zu vermeiden und wirtschaftlich fundierte Entscheidungen zu treffen.
Unsere Kanzlei unterstützt kleine und mittelständische Unternehmen bei der steuerlichen und digitalen Prozessoptimierung, insbesondere in der Buchhaltung. Durch konsequente Digitalisierung und effiziente Abläufe schaffen wir Transparenz und realisieren spürbare Kostenersparnisse für unsere Mandanten – vom kleinen Betrieb bis zum mittelständischen Unternehmen.
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