Digitale Prozesskommunikation im Steuerrecht: Pflicht zur Nutzung des beSt
Mit dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 2. September 2025 (X R 12/23) hat der X. Senat eine wegweisende Entscheidung zur aktiven Nutzungspflicht des besonderen elektronischen Steuerberaterpostfachs – kurz beSt – getroffen. Diese Entscheidung konkretisiert die Reichweite der gesetzlichen Verpflichtung zur elektronischen Kommunikation in finanzgerichtlichen Verfahren und hat erhebliche praktische Bedeutung für Steuerberater, aber auch mittelbar für Unternehmen aller Größenordnungen. Ausgangspunkt war die Frage, ob eine Klage, die nach dem 1. Januar 2023 noch per Telefax eingereicht wurde, trotz der seit diesem Zeitpunkt geltenden elektronischen Übermittlungspflicht als wirksam gelten kann. Der Bundesfinanzhof stellte klar, dass Steuerberaterinnen und Steuerberater ab Jahresbeginn 2023 verpflichtet waren, Schriftsätze ausschließlich auf elektronischem Weg über das beSt einzureichen, sofern ihnen die für die Erstanmeldung erforderlichen Zugangsdaten bereits zugegangen waren.
Rechtsgrundlage dieser Verpflichtung ist § 52d der Finanzgerichtsordnung, der bestimmt, dass vertretungsberechtigte Personen – darunter Steuerberaterinnen und Steuerberater – ihre Schriftsätze und Anträge als elektronische Dokumente zu übermitteln haben, sobald ihnen ein sogenannter sicherer Übermittlungsweg im Sinne des § 52a Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 der Finanzgerichtsordnung zur Verfügung steht. Die Steuerberaterplattform- und -postfachverordnung konkretisiert diese elektronische Infrastruktur. Ziel dieser gesetzlichen Neuerungen ist die konsequente Digitalisierung des gerichtlichen Verfahrensverkehrs, die zugleich der Justizentlastung, der Nachhaltigkeit und der Verfahrenseffizienz dient.
Rechtliche Bewertung und systematische Einordnung der Entscheidung
Der Bundesfinanzhof hat in seiner Begründung eine klare Linie gezogen: Das beSt stand den Steuerberaterinnen und Steuerberatern ab dem Zeitpunkt der individuellen Zugangsmöglichkeit zur Verfügung, unabhängig davon, ob die Bundessteuerberaterkammer den Gesamtversand aller Registrierungsbriefe bereits abgeschlossen hatte. Damit bestätigt das höchste deutsche Finanzgericht den Vorrang der individuellen Zugriffsmöglichkeit gegenüber einem pauschalen Aufschubzeitraum für die gesamte Berufsgruppe. Diese Auslegung verhindert, dass sich Steuerberater durch bloßes Abwarten von der Nutzungspflicht befreien könnten.
Im zugrunde liegenden Fall hatte die Prozessbevollmächtigte die Klage noch am letzten Tag der Frist per Telefax eingesendet, obwohl ihr bereits mehrere Wochen zuvor die Zugangsdaten für das beSt zugegangen waren. Der Bundesfinanzhof stellte fest, dass zu diesem Zeitpunkt die elektronische Übermittlungspflicht uneingeschränkt galt. Die Klage wurde daher als unzulässig verworfen. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 der Finanzgerichtsordnung lehnte der Senat ab, da die Nachholung der versäumten Handlung – hier die elektronische Einreichung – nicht fristgerecht erfolgt war.
Von besonderer Bedeutung ist die Argumentation zur verfassungsrechtlichen Dimension. Der Bundesfinanzhof bekräftigte zwar den Grundsatz, dass die Nutzungspflicht in das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz (Artikel 19 Absatz 4 Grundgesetz) eingreift, sah diesen Eingriff jedoch durch die praktische Möglichkeit der Nutzung des beSt und des optionalen sogenannten Fast-Lane-Verfahrens als hinreichend abgemildert an. Anders als das Finanzgericht Hannover, das auf eine generelle Verschiebung der Nutzungspflicht bis zum Abschluss des System-Rollouts im März 2023 plädierte, vertritt der Bundesfinanzhof eine strengere, aber technisch realistische Auslegung. Sie sorgt für bundesweit einheitliche Rechtsanwendung und Rechtssicherheit in der Übergangsphase der Digitalisierung.
Konsequenzen und Handlungsempfehlungen für Unternehmen und steuerberatende Berufe
Für Steuerberatungskanzleien, aber auch für alle steuerpflichtigen Unternehmen, bedeutet das Urteil eine klare Zäsur. Elektronische Kommunikationswege sind nun verbindlich vorgeschrieben, sobald die technischen Voraussetzungen individuell gegeben sind. Dies betrifft nicht nur die Steuerberaterinnen und Steuerberater selbst, sondern auch ihre Mandanten wie kleine Unternehmen, mittelständische Betriebe, Onlinehändler oder Pflegeeinrichtungen. Denn die Prozessvertretung vor dem Finanzgericht erfolgt häufig über die Kanzlei, deren Kommunikation rechtsverbindlich elektronisch geführt werden muss. Wer daher seine elektronischen Systeme nicht rechtzeitig aktiviert oder technische Zugangsdaten nicht zeitnah verwendet, riskiert, dass verfahrensrechtlich erhebliche Schriftsätze, insbesondere Klagen und Anträge, als unwirksam gelten.
Unternehmen sollten gemeinsam mit ihren steuerlichen Beraterinnen und Beratern prüfen, ob interne Abläufe die neuen Anforderungen der digitalen Justizkommunikation abbilden. Auch wenn Originalunterlagen nach wie vor für die interne Buchführung erforderlich bleiben, muss die externe Kommunikation – insbesondere im Rechtsverkehr – vollständig elektronisch erfolgen. Selbstständige und Freiberufler, die steuerliche Vertretung in Anspruch nehmen, sind daher gut beraten, sicherzustellen, dass ihre Kanzlei technisch und organisatorisch auf die Nutzung des beSt vorbereitet ist. Insbesondere für Pflegeeinrichtungen oder Krankenhäuser mit komplexen Buchhaltungsstrukturen ist es entscheidend, Zuständigkeiten eindeutig festzulegen und Fristüberwachungssysteme in die digitalen Workflows zu integrieren. Für Onlinehändler wiederum bedeutet der Schritt hin zur elektronischen Kommunikation eine notwendige Anpassung an die ohnehin digital geprägte Prozesslandschaft und bietet zugleich Potenziale für Kosteneinsparungen und Automatisierung.
Aus Sicht der Finanzverwaltung ist die Entscheidung ein Signal, dass die Einführung des beSt nicht als bloßes Pilotprojekt verstanden werden darf. Auch kleinere Kanzleien sind gehalten, digitale Kommunikationsformen rechtssicher einzusetzen. Die elektronische Aktenführung und der Austausch mit Gerichten über sichere Übermittlungswege werden künftig zum Standard jeder professionellen Verfahrensführung gehören. Steuerberaterinnen und Steuerberater müssen daher ihre Mitarbeitenden in der Nutzung der Systeme schulen, Notfallpläne für technische Störungen hinterlegen und die Archivierung ihrer elektronischen Dokumente fortlaufend gewährleisten.
Schlussfolgerung und Bedeutung für die zukünftige Praxis
Das Urteil vom 2. September 2025 markiert einen wichtigen Meilenstein auf dem Weg zur vollständigen Digitalisierung der Steuerverfahren. Der Bundesfinanzhof hat deutlich gemacht, dass gesetzliche Nutzungspflichten nicht durch organisatorische Startschwierigkeiten relativiert werden dürfen. Für Steuerkanzleien sowie ihre Mandanten aus allen Branchen – vom mittelständischen Produktionsbetrieb über den Onlinehandel bis hin zu Pflegeeinrichtungen – ist dies ein Aufruf, interne Prozesse konsequent auf digitale Effizienz auszurichten. Elektronische Rechtskommunikation wird zur Grundvoraussetzung einer ordnungsgemäßen und fristgerechten Prozessführung.
Unsere Kanzlei begleitet kleine und mittelständische Unternehmen bei der Umsetzung dieser digitalen Anforderungen. Wir unterstützen Sie bei der Optimierung Ihrer buchhalterischen Abläufe, der Einführung digitaler Kommunikationsstrukturen und der nachhaltigen Prozessautomatisierung, die erhebliche Kostenvorteile schafft. Durch unsere Erfahrung mit digitalisierten Finanzprozessen schaffen wir für Unternehmen jeder Größe effiziente, rechtssichere Strukturen für eine moderne Betriebsführung.
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