Kapitalanlage und steuerliche Abgrenzung: Neue Klarheit durch den BFH
Mit Urteil vom 3. Juni 2025 (Az. VIII R 35/23) hat der Bundesfinanzhof den Anwendungsbereich des § 20 Absatz 4a Satz 3 des Einkommensteuergesetzes präzisiert. Der Fall betrifft die steuerliche Einordnung komplexer Kapitalanlagen, insbesondere sogenannter strukturierter Anleihen, deren Rückzahlung sowohl in Geld als auch in Wertpapieren erfolgen konnte. Das Gericht stellte klar, dass diese Vorschrift nur dann eingreift, wenn entweder der Emittent oder der Inhaber der Anleihe nach den Emissionsbedingungen ein Wahlrecht haben, statt einer Geldzahlung Wertpapiere liefern oder entgegennehmen zu können. Fehlt ein solches vertragliches Wahlrecht, findet die Vorschrift keine Anwendung.
Diese Klarstellung ist für Kapitaleinkünfte im Sinne des § 20 Absatz 1 Nummer 7 Einkommensteuergesetz – also Erträge aus sonstigen Kapitalforderungen – von erheblicher Bedeutung. Sie betrifft alle Steuerpflichtigen, die über Kapitalanlagen verfügen, deren Rückzahlungsmodus von der Entwicklung eines Basiswertes abhängt, etwa bei Index- oder Aktienanleihen. Das Urteil schafft Rechtssicherheit, indem es die steuerliche Behandlung von sogenannten Delivery- oder Andienungsrechten eindeutig abgrenzt und damit eine einheitliche Anwendung in der Praxis ermöglicht.
Rechtliche Herleitung und Auslegung der Norm im Kontext des §20 EStG
Nach § 20 Absatz 4a Satz 3 Einkommensteuergesetz wird der Anschaffungspreis einer Kapitalforderung als Veräußerungspreis derselben und gleichzeitig als Anschaffungskosten der erhaltenen Wertpapiere angesehen, sofern bei Fälligkeit ein Wahlrecht zur Lieferung oder Annahme von Wertpapieren besteht. Der Hintergrund dieser Regelung lag ursprünglich darin, missbräuchliche Verlustverlagerungen und doppelte Verlustverrechnungen zu verhindern. Der Gesetzgeber wollte mit dieser Vorschrift sicherstellen, dass der wirtschaftliche Zusammenhang zwischen der Hingabe des Kapitals und dem Erhalt anderer Wertpapiere steuerlich korrekt erfasst wird.
Der Bundesfinanzhof stellte nun klar, dass allein der Umstand, dass eine Anleihe teilweise in Wertpapieren und teilweise in Geld zurückgezahlt wird, nicht automatisch zur Anwendung dieser Regelung führt. Entscheidend sei vielmehr, ob ein echtes Wahlrecht – also ein rechtlich eingeräumtes Erfüllungswahlrecht – besteht. Nur wenn dieses Wahlrecht dem Emittenten oder dem Inhaber erlaubt, über die Art der Erfüllung einseitig zu entscheiden, könne von einer Veräußerung im Sinne des § 20 Absatz 4a Satz 3 Einkommensteuergesetz gesprochen werden. Fehlt eine solche Verfügungsfreiheit, liegt keine Anwendungssituation der Norm vor.
Diese restriktive Auslegung vermeidet die Überdehnung steuerlicher Begünstigungen, die aus der Übertragung von Anschaffungskosten resultieren könnten. Der Senat hat betont, dass der bloße Umstand, dass Wertpapiere Bestandteil der Rückzahlung sind, kein faktisches Wahlrecht begründet. Das Urteil verdeutlicht damit, dass steuerliche Definitionen strikt anhand des Wortlauts und der Systematik der Normen auszulegen sind. Die Entscheidung knüpft an frühere BFH-Urteile zur Abgrenzung von Kapitalforderungen und Wertpapieren an und bestätigt, dass eine ergebnisorientierte, wirtschaftliche Betrachtung zwar relevant, aber nicht allein maßgeblich ist.
Konsequenzen für kleine und mittelständische Unternehmen, Pflegeeinrichtungen und Onlinehändler
Die Entscheidung hat weitreichende Implikationen für die steuerliche und buchhalterische Praxis vieler Unternehmen. Gerade kleine Unternehmen, mittelständische Betriebe oder auch spezialisierte Branchen wie Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser, die zunehmend in Finanzprodukte investieren, um Liquiditätsreserven gewinnbringend anzulegen, sollten die steuerlichen Folgerungen dieses Urteils genau beachten. In der Praxis bedeutet dies: Wird eine Anleihe so strukturiert, dass die Rückzahlung ohne tatsächliches Wahlrecht des Anlegers oder Emittenten teilweise durch Wertpapiere erfolgt, handelt es sich steuerlich nicht um einen Vorgang im Sinne des § 20 Absatz 4a Satz 3 Einkommensteuergesetz. Anschaffungskosten können daher nicht auf die erhaltenen Wertpapiere übertragen werden; vielmehr ist jeder Schritt gesondert zu betrachten und steuerlich zu erfassen.
Für Steuerberatende und Finanzabteilungen in mittelständischen Betrieben ergibt sich daraus die Notwendigkeit, die Vertragsbedingungen solcher strukturierten Produkte im Detail zu prüfen. Eine genaue Kenntnis der Emissionsbedingungen ist entscheidend, um Fehlklassifikationen und damit fehlerhafte Steuererklärungen zu vermeiden. Dies gilt ebenfalls für Onlinehändler, die Kapitalanlagen als Bestandteil ihrer Liquiditätssteuerung nutzen, sowie für Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen, deren Rücklagen häufig über verzinsliche Papiere gehalten werden. Wird ein solches Instrument veräußert oder eingelöst, ohne dass ein steuerlich relevantes Wahlrecht besteht, sind die Erträge der Abgeltungsteuer zuzuordnen, gegebenenfalls jedoch mit unterschiedlichen Tarifen – insbesondere dann, wenn es sich um Beteiligungen an Kapitalgesellschaften handelt.
Die Entscheidung fördert zugleich die Transparenz in der Unternehmensbuchhaltung. Die korrekte Trennung zwischen Kapitalertrag und Veräußerungsergebnis ermöglicht eine verlässlichere Kalkulation steuerpflichtiger Erträge und verbessert damit das Controlling von Investitionsentscheidungen. Unternehmen, die in strukturierte Finanzprodukte investieren, müssen künftig verstärkt auf eindeutige Vertragsgestaltung und steuerliche Prüfung vor Erwerb achten. In der Folge wird erwartet, dass die Nachfrage nach rechtssicheren Gestaltungsmodellen ohne steuerliche Unsicherheiten zunimmt, was insbesondere im Bereich der Unternehmensfinanzierung bedeutsam sein dürfte.
Praxisergebnisse und Handlungsempfehlungen für die Unternehmenssteuerung
Für die Unternehmenspraxis ergeben sich aus dem Urteil verschiedene Handlungsfelder. Zunächst sollten bestehende Finanzanlagen hinsichtlich ihrer Auszahlungsmodalitäten überprüft werden, um zu ermitteln, ob eine steuerlich relevante Wahlmöglichkeit besteht. Kapitalgesellschaften und Einzelunternehmerinnen, die regelmäßig in Schuldverschreibungen oder ähnliche Finanzinstrumente investieren, profitieren von einer revisionssicheren Dokumentation der Vertragsbedingungen. Bei neu abgeschlossenen Anlagen sollten Steuerberatende und Finanzverantwortliche darauf hinwirken, dass eventuelle Optionen eindeutig geregelt und nachvollziehbar dokumentiert werden, um steuerliche Risiken zu minimieren.
Der BFH hat deutlich gemacht, dass steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten ihre Grenze im klaren Wortlaut des Gesetzes finden. Wer also künftig steuerliche Vorteile über den Übertrag von Anschaffungskosten anstrebt, muss zwingend ein echtes Wahlrecht nachweisen können. Dies hat nicht nur Bedeutung für private Anleger, sondern auch für gewerblich tätige Unternehmen mit umfangreichen Kapitalbeständen, da sich die steuerliche Einordnung unmittelbar auf die Gewinn- und Verlustrechnung auswirkt. Da § 20 Einkommensteuergesetz auch für Kapitalerträge gilt, die im Betriebsvermögen gehalten werden, sind insbesondere mittlere Handelsunternehmen und Dienstleistungsfirmen betroffen, die durch Zins- oder Kursprodukte zusätzliche Renditequellen erschließen.
Langfristig wird dieses Urteil dazu führen, dass Kapitalanlagen transparenter gestaltet werden müssen. Emittenten strukturierter Finanzprodukte werden gezwungen sein, in den Emissionsbedingungen präziser zwischen automatischen Tilgungsmechanismen und echten Wahlrechten zu differenzieren. Für Investoren schafft dies mehr Sicherheit, für die Finanzverwaltung eine klarere Abgrenzung von steuerpflichtigen Vorgängen. Steuerberatende sollten diese Entwicklung nutzen, um Mandanten auch im Hinblick auf steueroptimale Anlagestrategien zu begleiten.
Schlussfolgerungen und digitale Prozessoptimierung als Chance
Die aktuelle Entscheidung des Bundesfinanzhofs bietet für Praxis und Beratung ein wichtiges Signal: Rechtssicherheit bei steuerlichen Definitionen verschafft Planbarkeit und ermöglicht eine nachhaltige Finanzstrategie. Unternehmen, die Kapitalanlagen als Bestandteil ihrer Liquiditätssteuerung einsetzen, sollten die rechtlichen Vorgaben präzise analysieren und ihre Buchhaltungsprozesse darauf ausrichten. Die sorgfältige Abbildung solcher Geschäfte in der Finanzbuchhaltung ist unabdingbar, um spätere steuerliche Korrekturen zu vermeiden. Für kleine und mittelständische Unternehmen bedeutet das, ihre steuerlichen Prozesse stärker zu digitalisieren und zu automatisieren, da komplexe Sachverhalte durch softwaregestützte Verbuchung effizienter und revisionssicher abgebildet werden können.
Unsere Kanzlei begleitet Mandanten bei der Implementierung solcher digitalen Lösungen und unterstützt insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen dabei, ihre Buchhaltungsprozesse zu optimieren und steuerliche Potenziale effizient auszuschöpfen. Der Fokus liegt auf Digitalisierung, Prozessoptimierung und Kostenreduktion – für transparente, rechtssichere und zukunftsfähige Unternehmensstrukturen.
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