Auslegung der Dach-und-Fach-Klausel in langfristigen Mietverträgen
Langfristige Mietverträge zwischen öffentlichen Auftraggebern oder institutionellen Investoren und privaten Vermietern enthalten häufig detaillierte Regelungen zur Instandhaltung. Entscheidend ist dabei, wer die Kosten für die Beseitigung baulicher Schäden trägt. Eine häufig verwendete Vertragsbestimmung ist die sogenannte Dach-und-Fach-Klausel, die festlegt, dass der Vermieter für die Instandsetzung an Dach und Fach verantwortlich ist, während der Mieter die übrigen baulichen Instandhaltungen zu übernehmen hat. Sie wird insbesondere bei komplexen Immobilienprojekten, etwa Rückmietvereinbarungen im Rahmen von Sale-and-lease-back-Gestaltungen, regelmäßig eingesetzt.
Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hatte mit Urteil vom 16. Oktober 2025 (Aktenzeichen 14 U 103/20) über den Anwendungsbereich einer solchen Klausel zu entscheiden. Im Streit stand, ob großflächige Innenputzschäden dem Verantwortungsbereich des Vermieters oder des Mieters zuzurechnen sind. Das Land Hessen als Mieterin einer Immobilie verlangte von der Vermieterin einen Vorschuss in Höhe von rund zehn Millionen Euro zur Sanierung der betroffenen Räume. Das Gericht wies die Klage ab: Die Innenputzarbeiten gehören nach der getroffenen Vereinbarung nicht zu den Pflichten des Vermieters.
Vertragliche Auslegung und Bedeutung für die Praxis
Die Entscheidung verdeutlicht, dass bei der Anwendung vertraglicher Instandhaltungsklauseln der Wortlaut und die vertragliche Systematik maßgeblich sind. Nach § 535 des Bürgerlichen Gesetzbuches schuldet grundsätzlich der Vermieter die Erhaltung der Mietsache im vertragsgemäßen Zustand. Abweichungen hiervon sind zulässig, sofern sie klar und eindeutig vereinbart wurden. Im entschiedenen Fall ergab die Auslegung des Vertrags, dass die Parteien eine vom Gesetz abweichende Regelung getroffen hatten. Die Definition des Begriffs „Fach“ umfasste nur konstruktive Gebäudeteile und solche, die der Funktionsfähigkeit und Benutzbarkeit des Gebäudes unmittelbar dienen. Der Innenputz wurde dort nicht erwähnt, während der Außenputz ausdrücklich aufgenommen war. Das Gericht sah keinen Anlass, den Innenputz als Bestandteil des Fachbegriffs anzusehen, da er lediglich als Beschichtung der tragenden Elemente aufgebracht wurde.
Für Vermietende und Mietende bedeutet diese Interpretation, dass eine genaue vertragliche Definition einzelner Bauteile und Instandhaltungspflichten unerlässlich ist. Fehlt eine eindeutige Regelung, wird im Streitfall das Gericht anhand der Auslegungskriterien nach § 133 und § 157 des Bürgerlichen Gesetzbuches bestimmen, wie der Vertrag gemeint ist. Besonders bei großen oder lang laufenden Mietverhältnissen, die oftmals auf 20 oder 30 Jahre angelegt sind, kann eine unklare Klausel zu erheblichen finanziellen Risiken führen. Die Entscheidung zeigt, dass auch öffentliche Auftraggeber mit umfangreicher Erfahrung und juristischer Beratung nicht davor gefeit sind, Verantwortung für wesentliche Sanierungskosten zu übernehmen, wenn die vertragliche Formulierung dies nahelegt.
Rechtliche Bewertung und wirtschaftliche Auswirkungen
Aus juristischer Sicht ist die Entscheidung konsequent, da das Gericht die Interessenlage beider Vertragsparteien sowie den Vertragswortlaut in eine ausgewogene Auslegung gebracht hat. Es überrascht nicht, dass ein Gericht bei fehlender Erwähnung des Innenputzes in der Dach-und-Fach-Klausel dessen Einbeziehung ablehnt. Spannend ist jedoch die Frage nach der wirtschaftlichen Tragweite solcher Regelungen. Für Vermieterinnen und Vermieter bedeutet die klare Beschränkung ihrer Pflichten auf Dach und Fach eine deutliche Risikoabwälzung auf den Mieter. Für Mietende, insbesondere wenn sie als öffentliche Einrichtungen langfristig Flächen nutzen, ergibt sich daraus die Verpflichtung, künftige bauliche Erhaltungsmaßnahmen sorgfältig zu kalkulieren.
Immobiliengesellschaften, Pflegeeinrichtungen, Kliniken oder auch Einzelhandelsunternehmen, die komplexe Mietstrukturen nutzen, sollten sich auf die mögliche Verlagerung von baulichen Risiken einstellen. Auch für Onlinehändler, die größere Lager- oder Distributionsflächen langfristig anmieten, kann diese Thematik relevant sein. Denn Sanierungskosten, die aus einer engen Auslegung von Instandhaltungsklauseln resultieren, können erhebliche Liquiditätsbelastungen mit sich bringen. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist daher die präventive Analyse bestehender Mietverträge ratsam, insbesondere wenn neu investiert oder immobile Werte restrukturiert werden.
In rechtlicher Hinsicht ist weiterhin zu beachten, dass eine Dach-und-Fach-Klausel regelmäßig nur bei gewerblichen Mietverträgen zulässig ist. Im Wohnraummietrecht wären derartige Abweichungen von der gesetzlichen Instandsetzungspflicht des Vermieters gem. § 536 Absatz 1 Bürgerliches Gesetzbuch nicht wirksam. Auch aus steuerlicher Perspektive können Instandhaltungsverpflichtungen Einfluss auf Bilanzierung und Abschreibung nehmen, etwa bei der Zuordnung von Erhaltungsaufwand und Herstellungskosten. Die zivilrechtliche Zuweisung von Verantwortung und Kosten hat deshalb stets auch eine steuerliche Komponente, die sorgsam abgestimmt werden sollte.
Fazit und Handlungsempfehlung für Unternehmen
Die aktuelle Entscheidung verdeutlicht einmal mehr, dass die rechtssichere Ausgestaltung von Instandhaltungsklauseln maßgeblich für eine verlässliche Kostenplanung ist. Mietvertragsrechtliche Begriffe wie „Dach und Fach“ sind ohne genaue Definition auslegungsbedürftig und können zu langwierigen Streitigkeiten führen. Für Unternehmen empfiehlt es sich daher, bestehende Verträge regelmäßig zu überprüfen und im Zuge von Modernisierungsprojekten gegebenenfalls anzupassen. Gerade bei langfristigen Mietverhältnissen kann eine präzise Regelung erhebliche finanzielle Sicherheit schaffen. Für Vermieter wiederum bietet sich an, die vertragliche Risikoverteilung klar zu strukturieren, um spätere Nachforderungen oder Haftungsstreitigkeiten zu vermeiden.
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