Rechtsschutz bei steuerlichen Prüfungsanordnungen im Fokus des BFH
Mit seinem Beschluss vom 29. Oktober 2025 (Az. X B 31, 32/25) hat der Bundesfinanzhof die Bedeutung der Verfahrensgrundsätze in steuerlichen Außenprüfungen erneut hervorgehoben. Im Streit stand die Frage, inwieweit ein offenes Einspruchsverfahren gegen eine Prüfungsanordnung Auswirkungen auf parallel anhängige Klagen gegen aufgrund der Prüfung erlassene Änderungsbescheide hat. Die Entscheidung betrifft unmittelbar die Anwendung der Finanzgerichtsordnung sowie der Abgabenordnung und ist damit für alle Unternehmerinnen und Unternehmer, Steuerberatende und Finanzinstitutionen von hoher praktischer Relevanz. Besonders kleine und mittelständische Betriebe, etwa Pflegeeinrichtungen, Krankenhäuser oder Onlinehändler, können aus der Begründung des Gerichts wichtige Rückschlüsse ziehen, wie sie sich im Prüfungsverfahren rechtssicher positionieren.
Ausgangspunkt war eine Schankwirtschaft, deren Betriebsprüfung für frühere Jahre erweitert wurde. Gegen die erweiterte Prüfungsanordnung wurde Einspruch eingelegt, über den die Finanzbehörde nicht abschließend entschieden hatte. Dennoch erfolgte auf Grundlage der Prüfungsfeststellungen eine geänderte Steuerfestsetzung. Das Finanzgericht wies die Klage ab, ohne die Rechtmäßigkeit der Prüfungsanordnung zu prüfen. Der Bundesfinanzhof hob diese Entscheidung nun auf und verwies den Fall zur erneuten Verhandlung zurück.
Vorrang offener Einspruchsverfahren und Grenzen richterlicher Prüfung
Der Bundesfinanzhof betont in bemerkenswerter Deutlichkeit, dass ein offenes Einspruchsverfahren gegen eine Prüfungsanordnung grundsätzlich vorgreiflich ist. Damit wird die Entscheidung über steuerliche Änderungsbescheide von der noch ausstehenden Klärung der Rechtmäßigkeit der Prüfungsanordnung abhängig gemacht. Nach § 74 Finanzgerichtsordnung kann das Gericht in solchen Fällen das Verfahren aussetzen, bis über die Prüfungsanordnung rechtskräftig entschieden wurde. Diese Vorgreiflichkeit dient dem Schutz der Verfahrensbeteiligten vor unzulässiger Beweisverwertung und unrichtigen Steuerfestsetzungen, die auf möglicherweise rechtswidrigen Prüfungsmaßnahmen beruhen.
Der Beschluss stärkt somit die Position der Steuerpflichtigen, insbesondere jener Unternehmen, die regelmäßig Betriebsprüfungen unterliegen. Der Bundesfinanzhof führt aus, dass die Missachtung eines noch offenen Einspruchs gegen eine Prüfungsanordnung einen Verfahrensmangel darstellen kann, weil das Gericht einen entscheidungserheblichen Sachverhaltsteil unberücksichtigt lässt. Besonders bedeutsam ist dieser Gesichtspunkt für Branchenteilnehmer mit komplexen steuerlichen Strukturen, beispielsweise im Gesundheitswesen oder im E-Commerce, wo Prüfungen häufig mehrere Jahre umfassen und unterschiedlich ausgestaltete Bescheide betreffen.
Die Entscheidung verdeutlicht zudem, dass die Finanzbehörde nur dann von der Erledigung eines Einspruchsverfahrens ausgehen darf, wenn dem Begehren des Steuerpflichtigen vollständig entsprochen wurde. Ein als „Abhilfebescheid“ bezeichneter Verwaltungsakt wirkt nur dann beendend, wenn er das ursprüngliche Einspruchsbegehren vollumfänglich erfüllt. Diese Differenzierung gilt unabhängig davon, ob der neue Bescheid denselben oder einen geänderten Prüfungsgegenstand umfasst. Der Bundesfinanzhof schließt ausdrücklich die Möglichkeit aus, allein aufgrund der Neuverfügung einer Prüfungsanordnung auf die Erledigung des Einspruchs zu schließen. Vielmehr bedarf es einer umfassenden Auslegung, ob und inwieweit der Einspruchsführer durch die neue Verfügung noch beschwert ist.
Praktische Bedeutung für kleine und mittelständische Unternehmen
Für Unternehmen der Realwirtschaft, gleichgültig ob Pflegeeinrichtung, produzierendes Gewerbe oder Onlinehandel, zeigt der Beschluss deutlich, dass der richtige Umgang mit Prüfungsanordnungen prozessentscheidend sein kann. Wird gegen eine solche Anordnung Einspruch eingelegt, dürfen die späteren Steueränderungen grundsätzlich erst nach rechtskräftiger Klärung verwertet werden. Daraus folgt, dass Unternehmer und ihre steuerlichen Berater konsequent darauf achten sollten, Einspruchsverfahren aktiv zu verfolgen und deren Fortgang zu dokumentieren. Eine unzureichende Kontrolle birgt das Risiko, dass Berechnungsgrundlagen auf fehlerhaften Feststellungen beruhen, die bei erfolgreicher Anfechtung der Prüfungsanordnung unverwertbar wären.
Besonders für kleine und mittlere Betriebe, deren steuerliche Prozesse häufig weniger digitalisiert sind und die sich auf externe Unterstützung verlassen, ergibt sich durch diese Rechtsprechung ein konkreter Handlungsbedarf. In der Praxis empfiehlt sich, die steuerliche Korrespondenz vollständig elektronisch zu archivieren und Entscheidungswege nachvollziehbar zu gestalten. Steuerkanzleien sollten ihre Mandantinnen und Mandanten darauf hinweisen, dass eine Prüfungsanordnung, die nicht ordnungsgemäß zugestellt oder nicht klar begründet wurde, ein erhebliches Angriffspotenzial bietet. Gleiches gilt für Pflegeeinrichtungen oder Krankenhäuser, die oft einer Vielzahl von finanziellen Prüfungen unterliegen und bei denen eine rechtzeitige Einspruchseinlegung über den Erfolg des Gesamtverfahrens entscheiden kann.
Auch für Finanzinstitutionen und beratende Berufe ist der Beschluss ein Signal, die organisatorische Trennung zwischen Verfahrens- und Sachfrage streng zu beachten. Die Entscheidung des Bundesfinanzhofs sensibilisiert dafür, dass formale Fehler im Verwaltungsverfahren nicht durch inhaltlich korrekte, aber prozessual unzulässige Steuerfestsetzungen ausgeglichen werden dürfen. Diese Präzisierung stärkt die Verfahrenssicherheit und erhöht die Anforderungen an eine dokumentierte Compliance im Umgang mit Außenprüfungen.
Rechtssicherheit durch strukturierte Prozessführung und Digitalisierung
Der Beschluss des Bundesfinanzhofs schafft Klarheit für alle Beteiligten in steuerlichen Prüfungsverfahren. Er verdeutlicht, dass die Finanzgerichte verpflichtet sind, offene Einspruchsverfahren zu berücksichtigen, bevor über Folgebescheide entschieden wird. Dies stellt einen wichtigen Beitrag zur Wahrung der Rechtsschutzgarantie dar. Unternehmen aller Größenordnungen sind gut beraten, ihre internen Abläufe so zu strukturieren, dass laufende Verfahren eindeutig nachverfolgt werden können. Die fortschreitende Digitalisierung der Buchhaltung und die elektronische Kommunikation mit der Finanzverwaltung bieten hierfür effektive Werkzeuge, die sowohl Transparenz als auch Kostenersparnisse sichern.
Zusammenfassend stärkt der Beschluss die Position der Steuerpflichtigen im Prüfungsprozess und fordert von der Finanzverwaltung eine präzisere Abgrenzung zwischen materiell-rechtlicher und verfahrensrechtlicher Prüfungsebene. Die Entscheidung verdeutlicht, dass prozessuale Sorgfalt und Frühaufklärung im Steuerverfahren unmittelbare wirtschaftliche Relevanz haben. Unsere Kanzlei begleitet kleine und mittelständische Unternehmen bei der Digitalisierung und Prozessoptimierung in der Buchhaltung. Durch strukturierte Abläufe und digitale Dokumentation erreichen unsere Mandanten erhebliche Effizienzgewinne und Kostenvorteile – eine Grundlage für nachhaltige Rechtssicherheit im Steueralltag.
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