Betriebsrat, Entlohnungsgrundsätze und Mitbestimmung: Einordnung des Falls
Die jüngste Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 20. Mai 2025 (Az. 1 AZR 35/24) beleuchtet eine häufig unterschätzte Fragestellung: die Wirksamkeit von Betriebsvereinbarungen im Zusammenspiel mit tariflich oder kollektivrechtlich geprägten Entlohnungsgrundsätzen. Im Mittelpunkt stand eine Streitigkeit zwischen einem Arbeitnehmer und einem nicht tarifgebundenen mittelständischen Unternehmen aus der Metallwarenindustrie. Der Kern des Konflikts war die wirksame Ablösung einer älteren Betriebsvereinbarung aus dem Jahr 2007 durch eine neuere Vereinbarung aus dem Jahr 2020, die Kürzungen und eine veränderte Behandlung von Sockelbeträgen bei der Vergütung vorsah. Der Kläger, ein Arbeitnehmer, stellte die Wirksamkeit der Betriebsvereinbarung aus dem Jahr 2020 in Frage und pochte auf die ungeminderte Fortgeltung der für ihn günstigeren Vereinbarungen aus dem Jahr 2007.
Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner Entscheidung klargestellt, dass die jüngere Betriebsvereinbarung wirksam ist, dass die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats beachtet wurden und dass die Verfahrensschritte, insbesondere die ordnungsgemäße Ladung von Ersatzmitgliedern, den gesetzlichen Anforderungen genügten. Damit wurden die Revision der Arbeitgeberseite letztlich für begründet erklärt und die Klage des Arbeitnehmers abgewiesen.
Mitbestimmung und Entlohnungsgrundsätze als Maßstab der Rechtsprechung
Im Zentrum der Entscheidung stand die Prüfung der Regelungssperre des § 77 Absatz 3 Betriebsverfassungsgesetz, die vorsieht, dass Arbeitsentgelte, die abschließend tariflich geregelt sind oder grundsätzlich der Regelung durch Tarifvertrag unterliegen, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein können. Diese Sperre greift jedoch nicht, wenn der Regelungsgegenstand zugleich eine mitbestimmungspflichtige Angelegenheit ist. Nach § 87 Absatz 1 Nr. 10 Betriebsverfassungsgesetz hat der Betriebsrat bei der Aufstellung und Änderung von Entlohnungsgrundsätzen zwingend mitzubestimmen. Entlohnungsgrundsätze sind die abstrakten Kriterien, nach denen Entgelte bemessen werden. Nicht erfasst ist die absolute Vergütungshöhe, wohl aber die Systematik, wie etwa die Berechnung und Anpassung von Sockelbeträgen. Das Gericht stellte klar, dass die Kürzung und die Modifikation solcher Sockelbeträge nicht der Sperrwirkung unterfallen, sondern der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegen.
Besondere Aufmerksamkeit schenkte das Gericht auch dem formellen Verfahren: Eine Betriebsvereinbarung ist nur dann wirksam, wenn ihr ein ordnungsgemäßer Betriebsratsbeschluss zugrunde liegt. Wird eine Vereinbarung ohne wirksamen Beschluss unterzeichnet, ist dies zunächst nur schwebend wirksam. Durch eine nachträgliche Genehmigung des Betriebsrats – wie hier geschehen – kann dieser Mangel jedoch geheilt werden, wobei die Rechtswirkung rückwirkend eintritt. Damit bestätigte das Gericht, dass auch Fehler im Verfahrensablauf nachträglich korrigierbar sind, solange die Genehmigung auf formell wirksamer Grundlage erfolgt.
Relevanz für kleine und mittelständische Unternehmen
Für Unternehmen, insbesondere kleine und mittlere Betriebe, Pflegeeinrichtungen oder Onlinehändler, hat dieses Urteil eine wichtige Signalwirkung. Häufig werden Betriebsvereinbarungen herangezogen, um flexible Vergütungssysteme außerhalb tariflicher Zwänge zu gestalten. Die Entscheidung verdeutlicht, dass die Willensbildung im Betriebsrat und die formal korrekte Durchführung von Sitzungen entscheidend sind, um rechtliche Beständigkeit zu gewährleisten. Zugleich stellt das Urteil klar, dass Unternehmen auch ohne Tarifbindung Gestaltungsspielräume in der Vergütung haben, solange sie dies über abgestimmte Entlohnungsgrundsätze in einer mitbestimmungskonformen Weise tun.
Für Arbeitgeber bedeutet dies, dass sie in der Ausgestaltung neuer Betriebsvereinbarungen hohe Sorgfalt an den Tag legen sollten. Dies umfasst die genaue Prüfung, ob Mitbestimmungsrechte tangiert sind, die transparente Einbindung des Betriebsrats sowie die Sicherstellung ordnungsgemäßer Beschlussfassungen. Für Branchen wie die Pflege, in denen flexible Zusatzvergütungen oder Zulagen häufig zur Anwendung kommen, ist von besonderer Bedeutung, dass Änderungen an den Strukturen rechtssicher erfolgen. Gleiches gilt für Onlinehändler, deren Mitarbeiterstruktur sich dynamisch entwickelt und bei denen faire, aber auch wirtschaftlich tragfähige Vergütungssysteme erforderlich sind. Auch hier bietet das Urteil eine klare Orientierung: Es ist die Systematik der Vergütung, nicht deren absolute Höhe, die wesentlichen Mitbestimmungsregeln unterliegt.
Darüber hinaus sollten Unternehmen beachten, dass durch die Möglichkeit der rückwirkenden Genehmigung von Betriebsratsentscheidungen zwar Spielräume eröffnet werden, diese jedoch nur eine Notlösung darstellen sollten. Eine saubere Ladung, der Einbezug von Ersatzmitgliedern und eine durchdachte Tagesordnung sichern nicht nur formelle Rechtssicherheit, sondern vermeiden auch potenzielle Konflikte mit der Belegschaft. Vergütungsfragen gehören zu den sensibelsten Themen im Betriebsalltag, weshalb transparente Kommunikation und rechtlich abgesicherte Verfahren unverzichtbar sind.
Zukunftssichere Gestaltung von Vergütungsmodellen
Das Urteil zeigt auf eindrucksvolle Weise, wie essenziell die Einhaltung formeller Standards für Unternehmen ist, die Betriebsvereinbarungen nutzen, um Vergütungsstrukturen flexibel zu steuern. Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sollten diese Rechtsprechung als Gelegenheit verstehen, bestehende Prozesse auf ihre formelle Richtigkeit zu überprüfen und zugleich für die Zukunft strategische Grundsätze in der Vergütungsgestaltung zu entwickeln. Kleine und mittelständische Unternehmen profitieren von klaren Strukturen, die langfristige Planungssicherheit gewährleisten und gleichzeitig den Handlungsspielraum sichern, um auf Markt- und Kostenentwicklungen flexibel reagieren zu können.
Für die Praxis bedeutet dies, dass Betriebsvereinbarungen nicht isoliert betrachtet werden dürfen. Vielmehr sollten sie in ein Gesamtkonzept eingebettet sein, das Personalmanagement, Kostensteuerung und Mitbestimmungsrechte gleichermaßen berücksichtigt. Hierdurch lassen sich kostenintensive Rechtsstreitigkeiten vermeiden und gleichzeitig das Vertrauen der Beschäftigten sichern. Gerade im Mittelstand, wo betriebliche Strukturen stark auf Effizienz ausgelegt sind, kann die Kombination aus rechtssicherer Vereinbarungsgestaltung und digitaler Abbildung in der Buchhaltung zu erheblichen Prozessoptimierungen führen.
Fazit: Handlungssicherheit bei Betriebsvereinbarungen schaffen
Das Bundesarbeitsgericht unterstreicht mit der Entscheidung, dass Betriebsvereinbarungen, die Entlohnungsgrundsätze betreffen, rechtliche Sicherheit nur dann entfalten, wenn formelle Spielregeln und Mitbestimmungsrechte ohne Abstriche beachtet werden. Für Arbeitgeber, insbesondere in mittelständischen Branchen, ist die sorgfältige Gestaltung und Umsetzung solcher Vereinbarungen ein entscheidender Erfolgsfaktor. Unsere Kanzlei unterstützt kleine und mittelständische Unternehmen dabei, ihre Vergütungs- und Buchhaltungsprozesse nicht nur rechtssicher, sondern auch effizient zu gestalten. Mit unserer Spezialisierung auf Digitalisierung und Prozessoptimierung in der Buchhaltung zeigen wir Mandanten, wie sich erhebliche Kostenersparnisse erzielen und betriebliche Abläufe nachhaltig verbessern lassen.
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