Abgrenzung zwischen privater Freizeit und beruflicher Tätigkeit
Die Anerkennung eines Unfalls als Arbeitsunfall in der gesetzlichen Unfallversicherung setzt stets voraus, dass zwischen der verrichteten Tätigkeit und der versicherten beruflichen Tätigkeit ein innerer, sachlicher Zusammenhang besteht. Ein aktuelles Urteil des Sozialgerichts Hannover (Az. S 22 U 203/23) beleuchtet diese Abgrenzung am Beispiel eines Geschäftsführers, der während eines Skiurlaubs verunglückte. Der Fall verdeutlicht, dass die Grenzen zwischen betrieblich veranlassten Aktivitäten und privaten Unternehmungen gerade im Bereich von sogenannten Geschäftsreisen oder Netzwerkveranstaltungen streng gezogen werden.
Im konkreten Fall nahm der Geschäftsführer als einziger Beschäftigter seines Unternehmens an einer viertägigen Skitour eines anderen Unternehmens in Österreich teil. Das Programm der Veranstaltung war unter der Überschrift „Skitour 2023“ veröffentlicht und versprach einige erholsame Tage mit Fachvorträgen. Diese fielen allerdings aus, und der Teilnehmerkreis gestaltete das Programm eigenständig. Bei einer Abfahrt zog sich der Kläger eine schwere Beinfraktur zu. Seine gesetzliche Unfallversicherung lehnte die Anerkennung als Arbeitsunfall ab, da der betriebliche Bezug fehle. Das Gericht bestätigte diese Einschätzung und prüfte die Kriterien für den Versicherungsschutz sehr genau.
Rechtliche Kriterien für den inneren Zusammenhang
Nach ständiger Rechtsprechung liegt ein Arbeitsunfall nur dann vor, wenn die konkrete Tätigkeit im Unfallzeitpunkt im inneren Zusammenhang mit der versicherten Arbeit steht. Maßgeblich ist also, ob die Handlung – etwa das Fahren eines Skilifts, das Abhalten eines Vortrags oder die Teilnahme an einem Meeting – eine betriebliche oder eigenwirtschaftliche, also private, Tätigkeit darstellt. Entscheidend ist dabei weniger der äußere Rahmen der Veranstaltung als vielmehr die tatsächliche Handlung, die zum Unfall geführt hat.
Im vorliegenden Fall kam das Gericht zu dem Schluss, dass das Skifahren dem persönlichen Freizeitinteresse des Klägers diente. Da die Fachvorträge ausgefallen waren und keine klar arbeitsbezogenen Elemente stattfanden, konnte kein betrieblicher Zusammenhang hergestellt werden. Selbst wenn der Kläger die Reise genutzt hätte, um Kontakte zu pflegen oder Geschäftsbeziehungen zu stärken, genügte dies nicht, um Versicherungsschutz auszulösen. Ein bloß mittelbarer Nutzen für das Unternehmen reicht für die Bejahung eines Arbeitsunfalls nicht aus.
Für kleine und mittlere Unternehmen, insbesondere für inhabergeführte Betriebe oder Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer von Dienstleistungs- und Handwerksunternehmen, ist diese Differenzierung besonders wichtig. Viele Veranstaltungen, die der Netzwerkarbeit oder Imagepflege dienen, sind nicht automatisch als dienstliche Tätigkeiten im Sinne der Sozialgesetzgebung anzusehen. Daher ist eine präzise Beurteilung im Vorfeld ratsam, um das Risiko späterer Streitigkeiten zu vermeiden.
Auswirkungen auf Unternehmerinnen und Unternehmer
Die Entscheidung des Sozialgerichts Hannover unterstreicht die Notwendigkeit, betriebliche und private Sphären klar voneinander zu trennen. Gerade für Führungskräfte, die kleine oder mittelständische Unternehmen leiten, kann es schnell zu einer Vermischung kommen. Das gilt insbesondere, wenn Geschäftsreisen mit Freizeitanteilen oder Incentive-Charakter kombiniert werden. Bereits das Einladungsschreiben und die Gestaltung des Programms können Hinweise auf den Charakter der Veranstaltung geben.
Praktisch bedeutet dieses Urteil: Nur wenn eine Veranstaltung als Betriebsgemeinschaftsveranstaltung anzusehen ist oder eine konkrete Dienstreise mit eindeutig beruflichem Zweck vorliegt, besteht Versicherungsschutz. Betriebsgemeinschaftsveranstaltungen sind Ereignisse, die allen Beschäftigten offenstehen und den Zusammenhalt im Unternehmen fördern sollen. Dient eine Teilnahme lediglich der persönlichen Erholung oder dem individuellen Netzwerk, so bleibt die Aktivität privat und damit unversichert. Gleiches gilt für selbstständige Unternehmer, die in bestimmten Fällen freiwillig über die Berufsgenossenschaft versichert sind. Auch hier gilt, dass der unmittelbare berufliche Bezug nachweisbar sein muss.
Für die Praxis sollten Geschäftsführende vorab prüfen, ob die geplanten Tätigkeiten während einer Unternehmensveranstaltung oder eines Branchenevents tatsächlich der geschäftlichen Tätigkeit dienen. Eine schriftliche Dokumentation der bestehenden Arbeitsverpflichtungen, beispielsweise durch Tagesordnungen oder Berichtspflichten, kann helfen, den betrieblichen Charakter einer Reise zu stützen. Zudem sollten Organisatoren von Unternehmensreisen darauf achten, dass das Programm erkennbar auf betriebliche Ziele ausgerichtet ist und dies auch nach außen hin deutlich gemacht wird.
Fazit und praxisrelevante Einschätzung
Die Entscheidung des Sozialgerichts Hannover verdeutlicht, dass bei Veranstaltungen mit Freizeitanteilen höchste Sorgfalt geboten ist, um den Versicherungsschutz nicht zu gefährden. Unternehmende und Angestellte sollten die Grenzen zwischen beruflichem Engagement und privater Teilnahme bewusst einhalten. Im Zweifel empfiehlt sich die frühzeitige Abstimmung mit der Berufsgenossenschaft oder der gesetzlichen Unfallversicherung. Nur eine klar abgegrenzte betriebliche Handlung bietet rechtliche Sicherheit im Fall eines Unfalls. Der Fall zeigt zudem, dass auch für Führungskräfte eigener Gesellschaften der Schutzmechanismus der gesetzlichen Unfallversicherung keine Erweiterung auf private Aktivitäten bietet. Entscheidend ist stets der konkrete sachliche Zusammenhang zur versicherten Tätigkeit.
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