Grundlagen des Urteils und Bedeutung für öffentliche Arbeitgeber
Der Europäische Gerichtshof hat im November 2025 entschieden, dass ein Richter, der infolge personeller Engpässe zusätzliche Aufgaben übernimmt, keinen Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für diese Mehrarbeit hat. Stattdessen kann eine angemessene Kompensation in Form von Freizeit erfolgen. Diese Entscheidung verdeutlicht den unionsrechtlichen Rahmen zur gerechten Behandlung von Überstunden im öffentlichen Dienst und betrifft im weiteren Sinne auch andere Arbeitgeber, die mit struktureller Unterbesetzung umgehen müssen. Die unionsrechtliche Basis dieser Entscheidung ergibt sich aus Artikel 19 Absatz 1 Unterabsatz 2 des Vertrags über die Europäische Union in Verbindung mit Artikel 2 des Vertrags und der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer. Diese Normen gewährleisten effektiven Rechtsschutz und faire Arbeitsbedingungen innerhalb der Mitgliedstaaten.
Im konkreten Fall war ein Richter in Rumänien über Jahre hinweg mit zusätzlichen Aufgaben betraut worden, da mehrere Planstellen unbesetzt blieben. Er verlangte hierfür eine anteilige finanzielle Entschädigung und begründete dies mit einer faktischen Mehrbelastung. Sein Antrag wurde von den nationalen Gerichten mit Verweis auf nationale Vorschriften abgelehnt, die einen Ausgleich durch Freizeit, jedoch keine Geldleistungen vorsehen. Der Europäische Gerichtshof stellte klar, dass eine solche Regelung mit dem Unionsrecht vereinbar sei, solange die betroffene Person eine realistische Möglichkeit habe, die gewährte Freizeit tatsächlich in Anspruch zu nehmen, und die Vergütungsstruktur insgesamt die richterliche Unabhängigkeit gewährleiste.
Rechtliche Einordnung und Auslegung durch den Gerichtshof
Im Mittelpunkt dieser Entscheidung steht der Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit, der ein Kernelement des europäischen Rechtsrahmens bildet. Der Gerichtshof betont, dass die Vergütung von Richtern angemessen und ihrer Funktion entsprechend ausgestaltet sein muss, um ihre Unparteilichkeit zu sichern und Einflussnahme von außen zu verhindern. Zugleich stellt das Gericht klar, dass dieser Grundsatz nicht zwingend verlangt, jede zusätzliche Arbeitsbelastung finanziell zu vergüten. Entscheidend ist vielmehr, dass die Maßnahme des Freizeitausgleichs tatsächlich umgesetzt werden kann und nicht bloß theoretisch besteht. Damit präzisiert der Gerichtshof die unionsrechtlichen Mindestanforderungen an den Schutz vor übermäßiger Arbeitsbelastung und verdeutlicht, dass finanzielle Kompensation kein zwingender Bestandteil der Unabhängigkeit ist.
Für öffentliche Arbeitgeber in der Europäischen Union bedeutet diese Entscheidung, dass sie bei Personalmangel weiterhin die Möglichkeit haben, die zusätzliche Arbeitslast rechtmäßig durch Freizeitausgleich auszugleichen, sofern dieser praktikabel umsetzbar ist. Eine Verpflichtung, Zusatzaufgaben finanziell zu entgelten, besteht nicht, solange der Gesamtlohn der betroffenen Person ausreicht, um die Unabhängigkeit oder Neutralität ihrer Tätigkeit nicht zu gefährden. Dies entspricht auch dem unionsrechtlichen Ziel, die finanzielle Stabilität staatlicher Institutionen zu berücksichtigen, ohne dabei den Schutz individueller Arbeitsrechte zu vernachlässigen.
Praktische Auswirkungen auf die Arbeitsorganisation
Auch wenn das Urteil vordergründig den öffentlichen Dienst betrifft, lassen sich aus der Begründung wichtige Rückschlüsse für die Praxis in der Privatwirtschaft ziehen. Kleine und mittelständische Unternehmen, deren Personalstrukturen häufig ebenfalls auf knappen Kapazitäten beruhen, sollten aus dieser Entscheidung ableiten, dass eine klare Regelung zum Umgang mit Mehrarbeit notwendig ist. Unternehmerinnen und Unternehmer sind angehalten, Überstunden systematisch zu dokumentieren und den Beschäftigten einen realistischen Ausgleich in Form von Freizeit oder Vergütung zu ermöglichen. Das Urteil unterstreicht die Bedeutung der Umsetzung solcher Regelungen, nicht nur ihrer formalen Existenz. Eine nicht wahrnehmbare Freistellung verstößt ebenso gegen die unionsrechtlichen Vorgaben wie das vollständige Fehlen eines Ausgleichs.
Darüber hinaus verdeutlicht die Entscheidung die Verantwortung der Arbeitgeber, ausreichende organisatorische Maßnahmen zu treffen, um Überlastungen zu vermeiden. Dies gilt gerade in Branchen mit hoher personeller Fluktuation, etwa in Pflegeeinrichtungen oder Krankenhäusern, wo Unterbesetzung häufig zu Mehrarbeit führt. Unternehmen, die im Wettbewerb um Fachkräfte stehen, sollten Freizeitausgleich und planbare Arbeitszeiten als Teil einer modernen Personalstrategie begreifen. Eine angemessene Arbeitsorganisation stärkt nicht nur die Zufriedenheit, sondern reduziert langfristig auch Krankheitsausfälle und Fluktuationskosten.
Fazit und Handlungsempfehlung für Arbeitgeber
Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs schafft Klarheit darüber, dass der unionsrechtliche Anspruch auf faire Arbeitsbedingungen keinen generellen Anspruch auf finanzielle Vergütung von Zusatzaufgaben umfasst. Entscheidend bleibt, dass eine realistische Möglichkeit der Kompensation besteht und die Vergütungsstruktur die Unabhängigkeit sowie die Integrität der betroffenen Tätigkeit nicht gefährdet. Für öffentliche wie private Arbeitgeber bedeutet dies, dass eine umsichtige, rechtskonforme Gestaltung von Arbeitszeit- und Ausgleichsregelungen unerlässlich ist. Insbesondere die Dokumentation von Mehrarbeit und eine transparente Kommunikation im Unternehmen sind zentrale Instrumente, um rechtliche Risiken und mögliche Konflikte zu vermeiden.
Unsere Kanzlei unterstützt kleine und mittelständische Unternehmen bei der rechtssicheren und effizienten Gestaltung ihrer internen Abläufe. Durch gezielte Prozessoptimierung in der Buchhaltung und umfassende Digitalisierungslösungen tragen wir dazu bei, betriebliche Strukturen zu verschlanken und nachhaltige Kostenersparnisse zu realisieren. Unser Augenmerk liegt auf der praxisnahen Umsetzung arbeits- und steuerrechtlicher Anforderungen als Bestandteil einer modernen Unternehmensführung.
Gerichtsentscheidung lesen