Automatisierte Schriftsätze im Lichte des Berufsrechts
Die anwaltliche Tätigkeit unterliegt strengen Anforderungen an Sorgfalt, Wahrheitspflicht und Sachlichkeit. Der Beschluss des Kammergerichts Berlin vom 25. August 2025 (Az. 3 ORbs 164/25) verdeutlicht dies in bemerkenswerter Weise. Das Gericht hatte sich mit einer Verteidigung zu befassen, die in einer Ordnungswidrigkeitensache mit Textbausteinen arbeitete, die den Sachverhalt eines völlig anderen Delikts betrafen. Der Fall macht deutlich, dass die zunehmende Automatisierung juristischer Abläufe – etwa durch den Einsatz von Textgeneratoren oder standardisierten Formularsystemen – klare Grenzen dort findet, wo diese Systeme ohne Prüfung und Anpassung verwendet werden.
Das Gericht sprach in seinem Beschluss von einer „dysfunktionalen Verteidigung“, ein Begriff, der sich auf eine Verteidigungsstrategie bezieht, die aufgrund automatisierter oder unreflektierter Schriftsatzgestaltung keinerlei sachlichen Bezug zum Verfahren erkennen lässt. Solche Handlungen widersprechen gemäß § 43a Abs. 3 Satz 2 der Bundesrechtsanwaltsordnung dem Gebot sachlicher Berufsausübung. Danach gilt das bewusste oder grob fahrlässige Verbreiten von Unwahrheiten als unsachlich. Das Kammergericht konkretisierte diesen Grundsatz in der Weise, dass eine Verteidigung, die auf frei erfundenen oder sachfremden Behauptungen basiert, mit dem Risiko rechnen muss, dass ein inhaltlich möglicherweise berechtigter Einwand keine Berücksichtigung findet.
Berufsethische und haftungsrechtliche Perspektiven
Die Entscheidung hat erhebliche Bedeutung über den Einzelfall hinaus. Sie mahnt alle rechtsberatenden Berufe, die Balance zwischen Effizienz durch Automatisierung und der unverzichtbaren juristischen Eigenprüfung zu wahren. Die Berufspflichten eines Rechtsanwalts, insbesondere die Pflicht zu sorgfältiger Mandatsbearbeitung, gehören zu den elementaren Grundlagen der Vertrauensstellung gegenüber Mandanten, Gerichten und Behörden. Wird die Arbeit durch algorithmische Prozesse oder starre Textmodule ersetzt, entfällt die eigenverantwortliche juristische Kontrolle – ein Verstoß gegen das Prinzip der individuellen Rechtswahrung. In solchen Fällen kann nicht nur ein berufsrechtliches Verfahren drohen, sondern auch eine Haftung wegen fehlerhafter Prozessführung.
Für Unternehmen, die anwaltliche Dienstleistungen in Anspruch nehmen, bedeutet dies ebenfalls erhöhte Aufmerksamkeit. Besonders kleine und mittlere Unternehmen, die zunehmend auf digitale Kanzleistrukturen und standardisierte Kommunikationsprozesse setzen, müssen sicherstellen, dass juristische Vertretungen keine vollständig automatisierten Verfahren anwenden, die ohne inhaltliche Prüfung erfolgen. Solche Praktiken können den Erfolg eines Verfahrens gefährden, wie das Kammergericht ausdrücklich betont hat.
Grenzen technischer Automatisierung im Rechtsalltag
Der Einsatz von Textbausteinen, Musterschriftsätzen oder KI-gestützten Tools ist aus Effizienzgründen weit verbreitet. Diese Instrumente können Qualität und Geschwindigkeit der Mandatsbearbeitung erheblich verbessern, dürfen jedoch keinesfalls ohne juristische Bewertung angewendet werden. Die rechtliche Verantwortung bleibt stets beim Anwalt, unabhängig von der Herkunft der Formulierungen. Das Kammergericht führte dazu aus, dass eine sinnlose, automatisierte Schriftsatzgestaltung den Zweck des Verfahrens verfehlt und das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der Verteidigung ebenso wie in die anwaltliche Zuverlässigkeit beschädigt.
Besonders relevant ist dies im Kontext digitaler Entwicklungen, etwa beim Einsatz von Sprachmodellen zur Schriftsatzerstellung. KI-gestützte Systeme können effizient strukturierte Dokumente liefern, bergen aber die Gefahr, fehlerhafte oder irrelevante Argumentationen zu generieren. Der hier entschiedene Fall zeigte, dass die Verteidigung mit Standardformulierungen zu Geschwindigkeitsverstößen argumentierte, obwohl der tatsächliche Tatvorwurf auf einer Handynutzung basierte. Eine solche Diskrepanz lässt sich nur durch sorgfältige manuelle Prüfung vermeiden. Für Kanzleien bedeutet das: Automatisierung darf lediglich eine Hilfsfunktion übernehmen, niemals die juristische Beurteilung ersetzen.
Fazit und Handlungsempfehlung für die Praxis
Das Urteil des Kammergerichts Berlin zeigt in aller Deutlichkeit, dass Digitalisierung und Automatisierung in der Rechtsanwendung zwar unverzichtbare Werkzeuge moderner Praxis sind, jedoch rechtliche Verantwortung und persönliche Prüfung nicht ablösen können. Für Unternehmen, die anwaltliche Beratung in Anspruch nehmen, ist es daher ratsam, auf die Qualitätssicherung ihrer rechtlichen Vertretung zu achten und transparente Prozesse zu fordern. Ebenso gilt für Rechtsanwälte und Steuerberatende, dass jeder automatisiert erstellte Schriftsatz eine abschließende Plausibilitätskontrolle erfordert. Die Einhaltung der berufsrechtlichen Pflichten bleibt zentrale Voraussetzung für die Wirksamkeit anwaltlichen Handelns und für das Vertrauen in das rechtliche Verfahren.
Unsere Kanzlei begleitet kleine und mittelständische Unternehmen dabei, ihre administrativen und buchhalterischen Abläufe zu digitalisieren und rechtssicher zu gestalten. Durch gezielte Prozessoptimierung schaffen wir Strukturen, die Effizienz mit Compliance vereinen und damit erhebliche Kostenvorteile ermöglichen. Unsere Erfahrung zeigt, dass eine verantwortungsvolle Nutzung digitaler Werkzeuge im Zusammenspiel mit fachlicher Kompetenz der Schlüssel zu nachhaltigem Unternehmenserfolg ist.
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