Die Frage, welches nationale Recht auf ein Arbeitsverhältnis mit grenzüberschreitendem Bezug Anwendung findet, gewinnt in Zeiten globaler Unternehmensstrukturen stetig an Bedeutung. Besonders relevant wird dies, wenn es um den Anspruch auf Annahmeverzugslohn bei unwirksamer Kündigung geht. Eine aktuelle Entscheidung des Zweiten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 18. Juni 2025 (2 AZR 91/24 (A)) befasst sich mit einer solchen Konstellation, in der eine Flugbegleiterin eines US-amerikanischen Luftfahrtunternehmens aus Deutschland heraus tätig war. Das Gericht stellte dabei in Frage, ob Arbeitgeber und Arbeitnehmer durch die Wahl ausländischen Rechts wirksam auf den Schutz des § 615 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch verzichten können.
Grenzen der Rechtswahl: Annahmeverzugslohn bei internationalem Bezug
Im Mittelpunkt der Entscheidung steht § 615 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch, der regelt, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die vereinbarte Vergütung schuldet, wenn dieser seine Arbeitsleistung anbietet, der Arbeitgeber sie aber nicht annimmt. Diese Vorschrift sichert Arbeitnehmer gegen die wirtschaftlichen Folgen einer unwirksamen oder verspätet wirksam werdenden Kündigung ab. Der Zweite Senat betont nun, dass diese Schutzwirkung für Fälle der unwirksamen Arbeitgeberkündigung zwingend ist. Das bedeutet, dass eine arbeitsvertragliche Regelung, die diesen Anspruch im Voraus ausschließt, auch dann unwirksam bleibt, wenn im Vertrag ausländisches Recht – wie hier das US-amerikanische – gewählt wurde.
Der Hintergrund des Falles war die Vertragsgestaltung eines deutschen Arbeitnehmers mit einem amerikanischen Luftfahrtunternehmen, der nach einem in den USA abgeschlossenen Vertrag beschäftigt war, aber regelmäßig von der Heimatbasis am Flughafen Frankfurt aus arbeitete. Nachdem der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis gekündigt hatte, machte die Arbeitnehmerin Annahmeverzugslohn für mehrere Monate geltend. Das Landesarbeitsgericht hatte dies unter Hinweis auf das gewählte US-amerikanische Recht abgelehnt. Der Zweite Senat sieht jedoch Anhaltspunkte dafür, dass deutsches Recht zwingend zur Anwendung kommen muss, soweit es um den Schutz gegen wirtschaftliche Nachteile unwirksamer Kündigungen geht.
Zwingendes deutsches Recht trotz vertraglicher Rechtswahl
Die Entscheidung des Zweiten Senats stellt eine bedeutsame Abweichung von der jüngeren Rechtsprechung des Fünften Senats dar. Während dieser noch 2023 entschieden hatte, dass § 615 Bürgerliches Gesetzbuch grundsätzlich dispositiv sei und damit vertraglich abbedungen werden könne, betont der Zweite Senat die besondere Schutzfunktion der Norm. Diese soll verhindern, dass Arbeitgeber durch Rechtswahlklauseln oder andere Gestaltungen die Konsequenzen einer fehlerhaften Kündigung vermeiden können. Eine solche Abbedingung im Voraus würde den Sinn und Zweck des Kündigungsschutzes unterlaufen, der eben nicht nur den formalen Bestand eines Arbeitsverhältnisses, sondern auch dessen wirtschaftliche Grundlage schützt.
Mit dieser Argumentation grenzt sich der Zweite Senat bewusst von einer weitergehenden Vertragsfreiheit ab. Er sieht § 615 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch als insoweit zwingend an, als ein Verzicht auf Annahmeverzugslohn im Vorfeld ausgeschlossen ist. Damit gilt diese Regelung als zwingende Bestimmung im Sinne des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch, die unabhängig von einer vertraglichen Rechtswahl Anwendung findet, wenn der Arbeitnehmer seine Tätigkeit gewöhnlich in Deutschland erbringt. Der Senat verweist auch auf den engen Zusammenhang mit den Kündigungsfristen nach § 622 Bürgerliches Gesetzbuch: Deren Schutzwirkung würde ausgehöhlt, wenn der Arbeitnehmer trotz unwirksamer Kündigung keine Entgeltansprüche für die Übergangszeit hätte.
Folgen und Praxisrelevanz für Arbeitgeber und Personalverantwortliche
Für kleine und mittelständische Unternehmen ebenso wie für international ausgerichtete Konzerne leitet sich aus dieser Entscheidung eine klare Konsequenz ab: Rechtswahlklauseln in Arbeitsverträgen mit Bezug zu Deutschland stoßen dort an Grenzen, wo zwingende arbeitsrechtliche Schutzvorschriften betroffen sind. Insbesondere beim Annahmeverzugslohn ist künftig sorgfältig zu prüfen, ob eine vereinbarte Rechtswahl zur faktischen Umgehung des Kündigungsschutzes führen würde. Unternehmen, die in Deutschland Personal beschäftigen – auch wenn sie ihren Hauptsitz im Ausland haben – sollten ihre Vertragsmuster überprüfen und gegebenenfalls anpassen, um die Vereinbarkeit mit zwingendem deutschem Arbeitsrecht sicherzustellen.
Für deutsche Betriebe, insbesondere Pflegeeinrichtungen, Handwerksbetriebe oder Onlinehändler mit internationalen Beteiligungen, ergibt sich zudem ein Bedarf an klaren Compliance-Strukturen. Die Entscheidung des Zweiten Senats zeigt, dass arbeitsrechtliche Pflichten nicht durch Vertragsformeln umgangen werden können. Auch bei Verträgen mit freien Mitarbeitern oder grenzüberschreitend tätigen Angestellten gilt: Der tatsächliche Arbeitsort und die Schutzintention des deutschen Arbeitsrechts sind für die rechtliche Bewertung entscheidend. Personalabteilungen und Rechtsabteilungen sollten sicherstellen, dass Verträge klar zwischen dispositivem und zwingendem Recht unterscheiden, um spätere Streitigkeiten und Nachzahlungspflichten zu vermeiden.
Darüber hinaus verdeutlicht die Entscheidung, dass der Ort der gewöhnlichen Arbeitsleistung weiterhin die rechtliche Hauptanknüpfung bleibt. Damit stärkt das Bundesarbeitsgericht die Position der in Deutschland tätigen Arbeitnehmer und verschafft Rechtssicherheit für Beschäftigungsverhältnisse mit Auslandsbezug. Unternehmen sollten ihre Vertragswerke insbesondere dann prüfen, wenn Beschäftigte aus Deutschland heraus für internationale Projekte tätig sind.
Ausblick und Einordnung für die Unternehmenspraxis
Die Bedeutung des Beschlusses geht über den konkreten Fall hinaus. Er zeigt exemplarisch, dass die Grundsätze des deutschen Kündigungsschutzrechts durch internationale Vertragsgestaltungen nicht unterlaufen werden dürfen. Das Bundesarbeitsgericht betont mit Nachdruck, dass der Arbeitgeber bei unwirksamer Kündigung das Entgeltrisiko trägt, unabhängig davon, welches Recht ursprünglich gewählt wurde. Damit stärkt die Rechtsprechung die Bindung zwischen deutschem Arbeitsrecht und sozialstaatlicher Schutzfunktion – und setzt zugleich einen Akzent gegenüber früheren Rechtsauffassungen, die der Vertragsfreiheit ein größeres Gewicht beigemessen hatten.
Die noch offene Abstimmung zwischen dem Zweiten und dem Fünften Senat lässt erwarten, dass sich diese Grundsatzfrage der Abdingbarkeit des § 615 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch bald höchstrichterlich klären wird. Bis dahin sollten Unternehmen im Zweifel von einer Abbedingung dieser Norm absehen und stattdessen auf transparente, rechtssichere und faire Vertragsgestaltungen setzen. Unsere Kanzlei begleitet kleine und mittelständische Unternehmen umfassend in Fragen der Vertragsgestaltung, Prozessoptimierung in der Buchhaltung und Digitalisierung. Durch zielgerichtete Automatisierungs- und Compliance-Lösungen unterstützen wir Sie dabei, rechtliche Risiken zu minimieren und Effizienzgewinne nachhaltig zu realisieren.
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